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Armut

Steinmeier: Auch in Deutschland fürchten Menschen den Winter




Bundespräsident Steinmeier in der Stadtmission
epd-bild/Christian Ditsch
Der Bundespräsident hat Projekte für Obdachlose am Berliner Hauptbahnhof besucht. Er fragte die Bewohner nach ihren Lebenswegen und Perspektiven. Und nutzte die Gelegenheit, um die Bevölkerung aufzurufen, warme Kleidung und Schlafsäcke zu spenden.

Berlin (epd). Bei einem Besuch des Zentrums der Berliner Stadtmission am Hauptbahnhof hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf die Lage von Obdachlosen und Bedürftigen aufmerksam gemacht. „Wohnungslosigkeit ist eine unterschätzte Notlage in unserer Gesellschaft“, sagte er am 13. Dezember bei einem Treffen mit Verantwortlichen, Bewohnern und Gästen des Zentrums.

Gespräch mit alkoholkranken Menschen

Der Bundespräsident erinnerte an die Not der Menschen, die unter den Folgen des Kriegs in der Ukraine litten. Aber auch in Deutschland hätten Menschen Furcht vor dem Winter. Mitten im Wohlstand seien sie ohne Obdach und ohne eigene Wohnung. Steinmeier forderte dazu auf, sich nicht nur zu Weihnachten um die von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen zu kümmern.

Mehr als 260.000 Menschen lebten in Deutschland ohne eigene Wohnung, die meisten von ihnen in Notunterkünften, aber auch mehr als 40.000, vielleicht 50.000 Menschen auf der Straße, so der Bundespräsident. Sie suchten sich für die Nacht Schlafmöglichkeiten unter Brücken, in Verschlägen oder in Zelten: „Ohne Hilfe werden einige diesen Winter nicht überleben.“

Dass er sich mit dem Thema Obdachlosigkeit auskennt, stellte Steinmeier im Gespräch mit Bewohnern einer Einrichtung für alkoholkranke Menschen unter Beweis. Bei Kaffee und Kuchen kam er an einem weihnachtlich mit roter Kerze geschmückten Tisch mit Bewohnern ins Gespräch. Er fragte sie nach ihrem Alltag, nach ihren Lebensgeschichten und Perspektiven.

Ein Bewohner berichtete, er habe noch 60 Tage Arbeit statt Strafe in der Gärtnerei des Zentrums am Hauptbahnhof zu leisten. Ein anderer arbeitet in der Logistikküche des Zentrums, in der Steinmeier wenig später Brokkoli klein schnitt. Der dritte erzählte, er bekämpfe seine Alkoholsucht in der Tagesklinik. Sie alle äußerten den Wunsch nach einer eigenen Wohnung.

„Man schaut nicht gern hin“

Steinmeier schenkte heiße Getränke aus Thermoskannen an Bedürftige aus und beklagte anschließend, viele Menschen verdrängten Obdachlosigkeit. „Man schaut nicht gern hin“, sagte der Bundespräsident, der dem Thema eine Doktorarbeit widmete. Unter dem grauen Himmel und bei Minusgraden stieß er mit einem der Bedürftigen mit Pappbechern an und hatte für jeden ein verbindliches Wort.

Der ehemalige Leiter der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo, Dieter Puhl, erinnerte an Steinmeiers Nacht als damaliger Bundesaußenminister im Kältebus der Stadtmission. In jener Nacht habe es ausnahmsweise mehr Beamte des Bundeskriminalamts als Obdachlose im Berliner Tiergarten gegeben, berichtete Puhl, der seit mehr als 30 Jahren mit Obdachlosen arbeitet. Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden, sei eine Utopie, sagte er: „Dass Steinmeier da mitmacht, ist mehr als beeindruckend.“

„Wir waren schon mal weiter“, kritisierte Steinmeier mit Blick auf das Ziel, der Obdachlosigkeit in der Europäischen Union bis 2030 ein Ende zu setzen. Die Wirtschaftskrisen, die Corona-Pandemie und steigende Mieten hätten dazu geführt, dass sich viele Menschen, die zu den ärmsten und verwundbarsten zählten, eine Wohnung nicht mehr leisten könnten: „Wir müssen unsere Anstrengungen jetzt steigern.“

Bettina Gabbe