Wilhelmshaven (epd). Im Anhänger vor Elke Gozdziks Haus stapeln sich Gemüsekisten, darin ein paar Kohlköpfe, Orangen, Brokkoli und etwas Kohlrabi. „Viel ist es heute noch nicht - aber da kommt noch mehr“, sagt sie. Die 64-Jährige ist die Chefin der „Obdachlosenhilfe Wilhelmshaven e.V.“, einer privat organisierten Tafel mit viel Herz. Jeweils am Dienstag, Donnerstag und Samstag verteilt sie mit ihrem Team im Stadtteil Fedderwardergroden Lebensmittel, Kleidung und anderes Nützliches an Menschen in Armut. Doch nun ist die Obdachlosenhilfe selbst ohne Obdach: Für den Winter wird dringend eine neue Ausgabestelle gesucht.
Seit acht Jahren kümmert sich Gozdzik quasi rund um die Uhr um ihr Klientel. „Es sind Senioren, Obdachlose und oft auch suchtkranke Menschen, die zu uns kommen.“ Bis vor kurzem konnte sie die von Supermärkten und anderen gespendeten Waren aus einem Ladenlokal heraus verschenken. Doch angesichts der gestiegenen Energiepreise konnte die Obdachlosenhilfe ihren mietfreien Laden nicht mehr halten. „Wir mussten abspecken und den Laden schließen.“ Doch dann stellte sich die Frage: „Wie sollen jetzt die armen Leute über die Runden kommen?“ Also kam ein Tapeziertisch in den heimischen Garten, von dem aus sich jetzt die Bedürftigen bedienen können.
Elke Gozdziks Sorge um das Wohlergehen ihrer Kunden ist wohlbegründet. Denn auch sie wurde vom Leben nicht eben verwöhnt. Nach einer kurzen Ehe wurde sie mit Anfang 20 selbst obdachlos. „Ich konnte die Wohnung nicht mehr halten und tauschte meine Waschmaschine gegen ein altes Auto.“ Sechs Wochen lang lebte sie in dem Wagen, bis ihr fremde Menschen wieder auf die Füße halfen. „Eine Erfahrung, die mich geprägt hat.“
Viele Jahre lang war die gelernte Einzelhandelskauffrau hinter dem Lenkrad großer Lastwagen in ganz Europa unterwegs. „Da lernt man, sich durchzusetzen und zuzupacken“, sagt sie mit einem rauen Lachen in der Stimme. Später war sie dann im Innendienst für eine Spedition tätig und wurde zur Expertin für Zollfragen. „Ja, und dann kam 2010 der Burnout.“ Für Gozdzik brach die Welt zusammen. Sie war nicht mehr arbeitsfähig, kam in eine Klinik und rutschte in Hartz IV ab. „Das ging alles furchtbar schnell.“
Während sie erneut in Behandlung war, habe sie ihre Leidenschaft für das Stricken und Handarbeiten wieder neu entdeckt: „Ich habe Mützen, Schals und Strümpfe gestrickt, bis meine Verwandtschaft nichts mehr haben wollte.“ Im Tagesaufenthalt der Diakonie habe sie neue begeisterte Abnehmer für ihren Strickwaren gefunden. „Die Obdachlosen haben mir die Sachen fast aus den Händen gerissen.“
Aus der anfänglichen gelegentlichen Kleiderspende sei dann langsam, aber sicher eine sehr niedrigschwellige Hilfe für bedürftige Menschen gewachsen, berichtet Gozdzik. Sachspenden organisierte sie via Facebook-Aufrufe, und Supermärkte waren bereit, Überbestellungen und unverkäufliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse abzugeben. Dabei achte sie darauf, nicht mit den bundesweit organisierten Tafeln zu konkurrieren: Zwar gebe es mittlerweile einige Supermärkte, Wochenmärkte und Bäckereien, die ihre überschüssige Ware an die Obdachlosenhilfe abgeben, doch das Meiste gehe nach wie vor an die ortsansässige Tafel.
Über die Woche verteilt sind rund 150 Menschen auf die regelmäßige und kostenlose Unterstützung der Obdachlosenhilfe angewiesen. Bei Elke Gozdzik gibt es mehr als eine Tüte Lebensmittel. „Die einen brauchen eine Umarmung. Einer anderen Frau habe ich mit einem Aufruf im Internet zu einer dringend benötigten Brille verhelfen können.“ Schnell verderbliche Lebensmittel verarbeitet sie auch schon mal zu einer Hühnersuppe oder zu Nudeln mit Hackfleischsauce. „Die schweiße ich portionsweise ein, damit die Leute sie mitnehmen und auf einem einfachen Campingkocher im Topf wieder erwärmen können.“
Sorge bereitet Elke Gozdzik der herannahende Winter: „Wenn es zu kalt und nass wird, können wir die Lebensmittel nicht mehr einfach in meinem Garten herausgeben. Und dann stellt sich wieder die Frage: Was machen nun die armen Leute?“ Vorübergehend ist ein Nachbar bereit, aus seiner Garage eine Ausgabestelle zu machen. Doch das könne keine Dauerlösung sein. „Wir brauchen dringend eine große Garage mit Stromanschluss, die uns nach Möglichkeit nichts kostet“, sagt Gozdzik: „Dann können wir wieder optimistisch in die Zukunft schauen.“