Mönchengladbach (epd). Wie kann ein blinder Mensch skaten? Was ist in puncto Barrierefreiheit beim Camping eigentlich wichtig? Welche Aussagen über Menschen mit Behinderung gehen gar nicht? Okan Türkyilmaz, Zora Kiesow und ihre Kolleginnen und Kollegen im Social-Media-Team der diakonischen Stiftung Hephata wollen aufklären. Seit mittlerweile drei Jahren betreibt das Team, in dem junge Erwachsene mit verschiedenen Behinderungen arbeiten, den Youtube-Kanal und den Instagram-Account „Behindert - So what!“. Mit Humor und ihrer eigenen Perspektive gehen sie an Fragen und Probleme heran, die Menschen ohne Behinderung oft gar nicht als solche erkennen.
Auf ein Youtube-Video über die Probleme mit der Barrierefreiheit am Hauptbahnhof Mönchengladbach-Rheydt und alles, was darauf folgte, ist das Team besonders stolz. Dafür testete Leo Drinceanu mit seinem Rollstuhl, ob er an dem Bahnhof ohne fremde Hilfe zurechtkommt - es war schwierig. „Die Bahn hat dann die Hindernisse weggemacht“, berichtet Zora Kiesow. Als der Bahnhof im Herbst 2021 abgerissen wurde, durften Leo Drinceanu und das Team dabei sein. Das neue Gebäude soll nun komplett barrierefrei werden.
Im Mai 2019 hatte die evangelische Stiftung ihre Social-Media-Arbeit neu aufgestellt. Seitdem sind auch junge Menschen, die zuvor in den Hephata-Werkstätten arbeiteten, Teil davon. Die Menschen, um die es geht, sollten selbst für sich sprechen dürfen. Oder wie Okan Türkyilmaz, der von Beginn an dabei ist und mit einer leichten Lernbehinderung lebt, das Ziel beschreibt: „Inklusion voranzutreiben, auf verschiedene Behinderungen aufmerksam zu machen. Dass einfach mehr gehört wird, dass Menschen mit Behinderung auch ernst genommen werden.“ Neben Hephata finanziert auch die Aktion Mensch einen Teil dieser Arbeit.
Das Team arbeitet wie andere Redaktionen auch: Morgens werden in einer Konferenz Ideen ausgetauscht, recherchiert, Beiträge und Drehs geplant, Bilder geschossen und Instagram-Posts hochgeladen. Dabei klären die Mitglieder neben Barrierefreiheit auch über verschiedene Arten von Behinderung auf und erklären, wie die Gesellschaft besser damit umgehen könnte. Hinzu kommen Berichte aus dem eigenen Alltag.
Unter dem Titel „Mach doch mal schneller“ beispielsweise geht es um unsichtbare Behinderungen, es gibt aber auch Videos zu Therapiehunden, Yoga im Rollstuhl und der Frage „Wie geht wählen?“. Auszeichnungen wie den NRW-Inklusionspreis 2020 und den „Mitmän Preis“ des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) 2022 gab es dafür bereits.
Aktuell ist eine Aufklärungsreihe über geistige Behinderungen in Arbeit. Dabei ist es Zora Kiesow besonders wichtig, auch auf nicht sichtbare Behinderungen einzugehen. „Inklusion beginnt im Kopf“, sagt sie. Oft gebe es Briefe von Ämtern, die sie mit ihrer leichten geistigen Behinderung nicht verstehe. Oder Menschen würden ungeduldig, weil sie für manche Dinge länger brauche als andere.
Außerdem mache es sie richtig wütend, wenn jemand Aussagen wie „Bist du behindert?“ als Beschimpfung verwende, berichtet Zora Kiesow . „Viele denken darüber gar nicht richtig nach und wissen nicht, was das eigentlich bedeutet.“ Mithilfe von Youtube und Instagram will das Team das ändern.
Die Arbeit im Social-Media-Team ist teilweise auch mit Stress verbunden, wie Kiesow erzählt. Videoproduktion ist aufwendig, und für einen Fünf-Minuten-Beitrag gehen einige Tage Produktionszeit und viel Planung drauf. Viele verschiedene Aufgaben müssen koordiniert und organisiert werden, das kann schon mal viel werden. Auch deshalb steht Andrzej Piestrak als pädagogische Fachkraft dem Team zu Seite. „Wir suchen gemeinsam Lösungen, wenn jemand unter Stress steht“, erklärt er.
So hat das Team auch eine klare Strategie, wenn es im Netz mal Hasskommentare oder Beleidigungen unter den Beiträgen gibt. Das komme zwar selten vor, sagt Hephata-Kommunikationschefin Alexandra Schoneweg. Dennoch sollen die Teammitglieder nicht überfordert werden. „Deshalb schauen wir uns die Kommentare genau an“, sagt sie. Konstruktive Kritik werde gerne aufgenommen. „Beleidigungen analysieren wir ebenso. Was könnte den Verfasser dazu bewegt haben? Was ist die Motivation dahinter? Warum schreiben Menschen so etwas?“ Für das Team sei es wichtig, stets Ansprechpartner für solche Fälle zu haben, sodass mit Hasskommentaren gut umgegangen werden könne.
Okan Türkyilmaz will sich davon nicht bremsen lassen. „Es ist notwendig, dass Menschen mit Behinderung über das Thema Behinderung reden und nicht Menschen ohne Behinderung“, sagt er. Sie seien selbst betroffen und könnten so eine ganz andere Perspektive in die Öffentlichkeit bringen.
In anderen Medienberichten merke man schnell, ob die Autorinnen und Autoren mit Menschen mit Behinderung gesprochen hätten oder nur aus der Distanz über sie berichteten, beobachtet auch der Pädagoge Andrzej Piestrak. Der Kanal sei wichtig, weil die Beteiligten hier selbst die Gelegenheit bekämen, auf ihre Weise über Themen zu sprechen, die ihnen wichtig seien.
So schlägt Philipp Fuchs in der Redaktionskonferenz etwa vor, einen Rollstuhlskater zu interviewen, Okan Türkyilmaz möchte den öffentlichen Nahverkehr weiter auf Barrierefreiheit testen. Am Düsseldorfer Hauptbahnhof zum Beispiel sieht er noch Nachholbedarf.