Karlsruhe (epd). Kinder erleben Krieg und Flucht anders als Erwachsene. Zur Verarbeitung seelischer Traumata benötigen sie eine spezielle - kindgerechte - Psychotherapie. Die Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW) in Karlsruhe bietet seit April Hilfe für traumatisierte Kinder an. Unterstützt wird das neue Angebot von der Kinderhilfsaktion Herzenssache.
Entwurzelung und Todesangst bis hin zu erlebten Verlusten von Familienangehörigen seien Themen, mit denen sich diese Kinder konfrontiert sehen, sagte der therapeutische Leiter bei BIOS-BW Thomas Hillecke dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Karlsruhe. Die Traumatisierung zeige sich bei den sieben bis 16 Jahre alten Klienten in Absencen, Traurigkeit, Ess- oder Aufmerksamkeitsdefizitstörungen. Oft machten auch die Schulen darauf aufmerksam, berichtet er.
BIOS-BW ist Träger des Psychosozialen Zentrums Nordbaden (PSZ), dem größten von insgesamt neun Psychosozialen Zentren in Baden-Württemberg. Es bietet traumatisierten Geflüchteten seit 2018 kostenlose psychotherapeutische Hilfe und Betreuung an. Unterhalten werden Standorte in Karlsruhe, Heidelberg, Heilbronn, Mannheim und Pforzheim.
„Wir betreuen Menschen, die schwerst traumatisiert sind“, beschreibt Hillecke die Klienten am PSZ Nordbaden. Sie haben Folter, Zwangsheirat, Krieg und Flucht erlebt oder wurden als Kindersoldaten rekrutiert. 23 Therapiestunden im Jahr nehmen diese Menschen durchschnittlich wahr, nicht selten drei Jahre lang.
Zur Behandlung der Ukrainer in Nordbaden stehen muttersprachliche Psychologen, Therapeuten sowie eine Dolmetscherin bereit. Die Psychiaterin Iryna Shapoval und die Psychotherapeutin Julia Melnychuk berichten von einer typischen Doppelbelastung geflüchteter Kinder.
In die Ängste um die eigene Zukunft mische sich die Sorge um die Familie. Die 16-jährige Tochter und der 11-jährige Sohn einer geflüchteten Mutter etwa litten sehr unter der Trennung. „Sie vermissen ihren Vater, der in einer umkämpften Zone unter Beschuss steht“, sagte Melnychuk. Durch die Trennung der Familie sei die Mutter psychisch labil geworden. Sie könne die Kinder zurzeit nicht unterstützen, so die Psychologin.
Aufgabe der Therapie sei es auch, den Kindern im Alltag zu helfen und zu stabilisieren, erläutert Shapoval. Aus eigener Fluchterfahrung weiß sie: Der Austausch, das Sprechen über das Trauma hilft, negative Emotionen zu akzeptieren. Bei sehr kleinen Kindern unter drei Jahren besteht die Therapie dagegen in Spiel- und Mal-Angeboten.
In der Skala schwerer Traumata steht die von Menschen gemachte Gewalt an erster Stelle: „Am schlimmsten ist, was Menschen anderen Menschen antun“, erklärt der Abteilungsleiter des PSZ Nordbaden, Pedram Badakhshan.
Mit den Angeboten würden gerade einmal zehn Prozent der Geflüchteten erreicht, sagen die Experten. Das sei die „Spitze des Eisbergs“. Eine posttraumatische Belastungsstörung zeige sich oft mit einiger Verzögerung. Die Therapeuten gehen davon aus, dass insgesamt 25 Prozent alle Ukraine-Flüchtlinge früher oder später auf fremde Hilfe angewiesen sein werden, um das Erlebte zu verarbeiten.