Berlin (epd). Die Sachverständigenkommission zur Bewertung der bisherigen Corona-Maßnahmen gibt der Politik wenig konkrete Empfehlungen für eine künftige Krisenpolitik. Das mit knapp 20 Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen besetzte Gremium stellte am 1. Juli in Berlin seinen Evaluationsbericht vor. Nicht zuletzt aufgrund der unzureichenden Datenlage seien präzise Bewertungen einzelner Schutzmaßnahmen schwierig, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Kommission, Helga Rübsamen-Schaeff.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte an, nach der Sommerpause ein Pandemiekonzept für Herbst und Winter vorzulegen. Dieses müsse den Geboten von Evidenz und Rechtsstaatlichkeit folgen.
Für den Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, Hendrik Streeck, ist eines sicher: „Masken wirken“, sagte er in Berlin. Allerdings schränkte er zugleich ein, eine schlecht sitzende und nicht eng anliegende Maske habe einen verminderten bis gar keinen Effekt. „Die Effektivität hängt vom Träger oder der Trägerin ab.“ Die Kommission empfiehlt deshalb, zukünftig in der öffentlichen Aufklärung und Risikokommunikation einen starken Schwerpunkt auf das richtige und konsequente Tragen von Masken zu legen.
Die Kommunikation mit der Bevölkerung in der Pandemie bildet einen Schwerpunkt des Gutachtens. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), nannte es für das Krisenmanagement „zentral wichtig“, Vertrauen in Politik und Wissenschaft herzustellen. Notwendig sei ein partizipativer Ansatz statt einer Ansprache „von oben herab“. Wünschenswert seien Impfteams, die die Menschen aufsuchen und aufklären. Abweichende Meinungen müssten ernst genommen werden.
Differenziert bewerten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Lockdown-Maßnahmen. Zwar gebe es „keinen Zweifel, dass generell die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führt“. Je länger allerdings ein Lockdown dauere und je weniger Menschen bereit seien, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer sei die Wirkung und umso schwerer wiegen die nicht beabsichtigten Folgen.
Den Effekt von 2G/3G-Maßnahmen beurteilt die Kommission bei den derzeitigen Virus-Varianten in den ersten Wochen nach der Boosterimpfung oder der Genesung als hoch. „Der Schutz vor einer Infektion lässt mit der Zeit jedoch deutlich nach“, erklärte das Gremium. Corona-Tests seien ratsam, wenn es erforderlich sei, Zugangsbeschränkungen einzuführen - und zwar unabhängig vom Impfstatus der einzelnen Person.
Besonders kritisch äußerte sich das Gremium zu Schulschließungen: Die genaue Wirksamkeit dieser insgesamt 38 Wochen dauernden Maßnahme sei weiterhin offen. Eine Expertenkommission sollte die negativen Folgen unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls genauer untersuchen und bewerten. Dazu sagte Justizminister Buschmann: „Wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass die Pandemiebewältigung nicht wieder zu Lasten der Kinder gehen darf und Schulschließungen vermieden werden müssen.“
Internationale Studien belegten, dass die Pandemie erhebliche psychosoziale Auswirkungen insbesondere auf Frauen und jüngere Menschen hatte. Corona-bedingte Maßnahmen hätten zu einer Re-Traditionalisierung von Geschlechterrollen geführt. Die Forscherinnen und Forscher mahnen, dass die Folgen von Pandemie und Schutzmaßnahmen nicht einseitig zu Lasten von Frauen und Kindern gehen dürften.
Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, begrüßte den Bericht des Sachverständigenausschusses und übte Kritik an aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung bei Bürgertests. „Die neue Strategie der Bürgertests macht deutlich, dass Bund und Länder Millionen Menschen immer noch vergessen“, sagte Brysch der „Rheinischen Post“.
Die Mitglieder der Sachverständigenkommission wurden je zur Hälfte von der Bundesregierung sowie vom Bundestag benannt. Das Ergebnis der Evaluierung wird der Bundesregierung vorgelegt, die dazu eine Stellungnahme abgeben wird.