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Interview

Caritas-Präsidentin: "Wir müssen die soziale Infrastruktur absichern"




Eva Maria Welskop-Deffaa
epd-bild/Heike Lyding
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, will die digitale Erreichbarkeit der Caritas verbessern - auch um eine Konkurrenz "der Amazons und Googles dieser Welt" abzuwehren. Im Interview sprach sie sich angesichts der fortlaufenden Großkrisen für eine Neujustierung des Sozialstaats aus.

Frankfurt a.M. (epd). Eva Maria Welskop-Deffaa ist „davon begeistert, dass das Leid der Geflüchteten aus der Ukraine eine so große Solidarbereitschaft auslöst“. Jedoch müsse die Solidarität der Bevölkerung in Deutschland auch nachhaltig unterstützt werden, forderte die Caritas-Präsidentin im epd-Interview. „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist sicher keine uneingeschränkte Erfolgsgeschichte“, sagt sie zu der umstrittenen Entscheidung des Bundestages. Doch immerhin sei es damit gelungen, die Impfquote der Beschäftigten in der Gesundheits- und Pflegebranche zu steigern. Welskop-Deffaa wurde im Oktober zur Caritas-Präsidentin gewählt. Mit ihr sprachen Dirk Baas und Markus Jantzer.

epd sozial: Frau Welskop-Deffaa, Sie sind seit einem halben Jahr Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes und für sechs Jahre gewählt. Was haben Sie sich als Spitzenvertreterin des katholischen Wohlfahrtsverbandes vorgenommen?

Eva Maria Welskop-Deffaa: Es sind drei Anliegen, die ich mir vorgenommen habe: Das erste hängt mit dem 125-jährigen Jubiläum des Caritasverbandes zusammen. „Zukunft denken, Zusammenhalt leben: #DasMachenWirGemeinsam“. Mit diesem Motto des Jubiläumsjahres erinnern wir an die Gründungsgeschichte des Verbandes. Eine kleine Elite des katholischen Deutschlands schaute damals auf die große, vitale und vielfältige katholisch-soziale Bewegung des 19. Jahrhunderts und stellte fest, dass diese zersplitterten Initiativen weit hinter ihren Möglichkeiten zurückblieben. Die katholischen Hilfen für die Menschen am Rande der Gesellschaft verlangten nach mehr Koordination und Organisation, um die Angebote verlässlich und in hoher Qualität erbringen zu können. Es war eine großartige Entscheidung, eine Dachorganisation zu schaffen. Und genau das müssen wir heute neu buchstabieren: Wie schaffen wir es, unsere verschiedenen Fachpolitiken so zusammenzuführen, dass daraus eine gemeinsame Solidarbewegung entsteht? Wie schaffen wir eine innovative Abstimmung von analog und digital, eine komplementär bereichernde Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen?

Das zweite Thema ist die digitale Transformation. Das ist eine grundsätzliche Herausforderung für unsere Gesellschaft und auch für den Verband. Die Digitalisierung schafft ganz neue Chancen für Erreichbarkeit, kann aber auch schnell zu Ausgrenzung führen. Wenn wir Beratungen ausschließlich analog in Beratungsstellen anbieten, trifft das längst nicht immer auf die Bedürfnisse der Menschen. Wir haben zwar schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie unsere Online-Beratungsplattform aufgebaut. Hinter der reinen Technik müssen sich im Verband viele Prozesse und Mentalitäten ändern. Es kommt darauf an, diesen Veränderungsprozess gut zu begleiten und zu gestalten.

In Deutschland wurden die sozialen Sicherungssysteme über mehr als ein Jahrhundert immer weiterentwickelt. Das gab den Menschen Sicherheit. Jetzt aber sehen wir: Es geht nicht mehr nur darum, die Lebensrisiken Einzelner durch individuelle Angebote im sozialen Sicherungssystem abzufedern. Unser Sozialstaat selbst muss neu resilient gemacht werden, weil die sich überlagernden Großrisiken wie die Klimakrise, die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg eine ganz andere Art von Verunsicherung mit sich bringen. Das richtet den Blick neu auf die soziale Infrastruktur. Das ist mein großes drittes Thema.

epd: Haben Sie die Befürchtung, dass die Caritas Klientinnen und Klienten verliert, wenn sie ihre Online-Beratung nicht systematisch weiter ausbaut?

Welskop-Deffaa: Die Klientinnen und Klienten wünschen unbedingt zumindest einen digitalen Erstzugang. Wenn wir da nicht erreichbar sind, werden sie Angebote von anderen annehmen. Meine große Sorge ist, dass dies die Amazons und die Googles dieser Welt auf den Plan rufen könnte. Denn die machen jede Art von Angebot - und das auch kostenlos, weil sie mit den Daten Geld verdienen. Und wenn sie das Gefühl haben, es ist gerade nützlich, eine Sozialberatung anzubieten, weil sie so zu für sie wertvollen Daten kommen, dann werden sie das auch tun. Wenn wir als Caritas Menschen in Notlagen helfen und schützen wollen, dann müssen wir ihnen niedrigschwellige Angebote machen. Das bedeutet, dass wir die Beratungsstelle nicht nur in der Nähe des Bahnhofs haben, sondern dass diese Einrichtung auch digital erreichbar ist.

epd: Sind die Beschäftigten der Caritas in den Beratungsstellen für diese Veränderungen aufgeschlossen?

Welskop-Deffaa: Für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das nicht immer leicht. Das bringt Entgrenzungsgefahren, braucht neue Kompetenzen, neue Arbeitsvoraussetzungen. Deshalb sind wir jetzt in einer Bildungsoffensive, um die Kolleginnen und Kollegen zu schulen und mitzunehmen.

epd: Wo sehen Sie in der Sozialpolitik aktuell den größten Handlungsbedarf?

Welskop-Deffaa: Derzeit braucht das Thema Energiearmut, also die Gefahr der Verarmung bis hin zur Überschuldung durch die rasant steigenden Energiepreise, die größte Aufmerksamkeit. Man macht sich oft gar nicht klar, wie existenziell SGB-II-Beziehende hier betroffen sind. Da gibt es Häuser, die sind schlicht nicht isoliert - mit erheblichen Auswirkungen auf die Stromrechnung. Und: Es gibt gerade in dem Bereich Vermieter, die - durchaus auch mit kriminellen Methoden - versuchen, aus der Not der Mieter Kapital zu schlagen. Grundsätzlich gilt, dass in armen Haushalten die Strom- und Heizkosten einen überproportionalen Anteil des Einkommens auffressen.

epd: Was muss angesichts der steigenden Energiepreise getan werden?

Welskop-Deffaa: Kurzfristig ist es gut, dass die Bundesregierung mit Entlastungspaketen wie der Steuersenkung, der Energiepauschale, dem Kinderbonus und dem verbilligten öffentlichen Nahverkehr reagiert und versucht, damit die Kostenbelastungen aufzufangen. Wichtig wäre, darüber hinaus zu überlegen, welche Maßnahmen in der mittleren Frist helfen und gleichzeitig die richtigen Anreize im Kampf gegen die Klimakrise setzen. Die Regelsätze für die Grundsicherung endlich realitätsnah zu berechnen und zu erhöhen, gehört ganz oben auf die politische Agenda.

epd: Erwarten Sie, dass das Hartz-IV-System in absehbarer Zeit durch ein Bürgergeld abgelöst wird, das den Betroffenen Verbesserungen bringt?

Welskop-Deffaa: Nach allem, was wir aus dem Bundesarbeitsministerium hören, habe ich Hoffnung. Die Reform wird wohl nicht auf einen Schlag gemacht werden, sondern sie wird schrittweise kommen. Ich bin zuversichtlich, dass es bei den Hartz-IV-Sanktionen zu einer dauerhaften Veränderung kommen wird, etwa zu Abmilderungen bei den scharfen Sanktionen gegen junge Menschen unter 25 Jahren. Insgesamt muss es darum gehen, dass die Jobcenter mit gezielten Hilfen Menschen, die in die Langzeitarbeitslosigkeit geraten sind, in ihrer Selbstständigkeit stärken.

epd: Wird das Bürgergeld den Beziehern auch ein höheres Einkommen bringen?

Welskop-Deffaa: Nein. Dazu steht leider nichts im Koalitionsvertrag.

epd: Warum glauben Sie, lehnt die Ampel-Koalition höhere Regelsätze ab?

Welskop-Deffaa: Weil es zu teuer ist.

epd: Die geplanten Steigerungen bei den Rüstungsausgaben werden ungleich mehr ins Geld gehen. Sind sie eine Gefahr für den Fortbestand des Sozialstaats?

Welskop-Deffaa: Mich erreichen aus der Fläche des Deutschen Caritasverbandes ernst zu nehmende Hinweise, dass es für die Einrichtungen vor Ort schwer wird, bestehende Angebote aufrechtzuerhalten. Kommunen haben Einsparungen im sozialen Bereich beschlossen, weil ihnen mit der Corona-Krise Gewerbesteuereinnahmen weggebrochen sind. Das macht mir große Sorgen. Ich bin davon überzeugt, dass es für einen funktionierenden Sozialstaat mehr braucht als auskömmliche Sozialtransfers und akzeptable Renten. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für gute Teilhabechancen der Menschen, die von Ausgrenzung bedroht sind, ist eine gute soziale Infrastruktur unerlässlich. Dazu gehören Kitas, Jugendhilfeeinrichtungen, Frauenhäuser, Beratungsstellen. Die hohe Bedeutung dieses Netzes wird nach meinem Eindruck in der Öffentlichkeit leider noch immer unterbewertet.

epd: Warum weisen Verbände wie die Caritas nicht deutlicher auf diesen hohen Wert hin?

Welskop-Deffaa: Das machen wir ständig. Und ich finde, dass uns die Kommunikation im politischen Raum in den vergangenen Jahren besser als zuvor gelungen ist. Das hat auch mit der Corona-Erfahrung zu tun. Die Politik hat passgenau Schutzschirme für Träger sozialer Einrichtungen aufgespannt, die pandemiebedingt mit Unterauslastungen und entsprechenden Mindereinnahmen zu kämpfen hatten. Das hat ihre Existenz gesichert und damit die Leistungskraft der sozialen Infrastruktur in der Post-Corona-Phase. Wir hören aus dem Bundesarbeitsministerium - und dafür bin ich sehr dankbar -, dass mit Blick auf künftige Krisen diese Idee verstetigt werden soll.

epd: Der Sozialstaat soll also für kommende Mega-Krisen gewappnet werden?

Welskop-Deffaa: Wir haben doch bis vor kurzem nicht geglaubt, dass sich die Krisen derart aneinanderreihen. Wer hätte eine Flut an der Ahr erwartet? Einen Krieg in Europa? Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir eine neue Widerstandsfähigkeit des Sozialstaates gestalten müssen. Wir müssen unsere soziale Infrastruktur strukturell absichern, um nicht auf jede neue Krise ad hoc improvisiert reagieren zu müssen.

epd: In der Corona-Krise wurde eine Impfnachweispflicht für die Einrichtungen der Sozialbranche eingeführt. Welche Wirkung hat dieses Gesetz seit dem 15. März entfaltet?

Welskop-Deffaa: Das Spannende an solchen umstrittenen Regelungen ist nicht zuletzt der Ankündigungseffekt. Deshalb muss man nicht nur bewerten, was nach dem 15. März passiert ist, sondern auch, was schon davor zu beobachten war. Und da ist zu sehen: Es hat nur vereinzelt ungeimpfte Beschäftigte gegeben, die gekündigt haben, um der Impfpflicht auszuweichen. Und die Caritas-Arbeitgeber wollten ohnehin keine Kündigungen aussprechen. Alle Einrichtungen haben gesagt, dass sie alles tun wollen, um das ohnehin knappe Personal zu halten.

epd: Wie hat sich die Impfquote in den Einrichtungen entwickelt?

Welskop-Deffaa: Sie ist gestiegen, wenn auch regional sehr unterschiedlich. In manchen Einrichtungen wurden Impfquoten von bis zu 97 Prozent erreicht. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist sicher keine uneingeschränkte Erfolgsgeschichte, aber mit der Zunahme der geimpften Mitarbeitenden hat sie den Krankenstand positiv beeinflusst und also der Überlastung der Teams entgegengewirkt.

epd: Das Personal ist also fast unverändert in den Einrichtungen geblieben. Arbeiten die Ungeimpften nun wirklich weiter nahe am Menschen?

Welskop-Deffaa: Uns liegen keine belastbaren Zahlen vor, dass in größerem Maße Betretungsverbote von den Gesundheitsämtern ausgesprochen wurden.

epd: Also wird das Gesetz nicht vollzogen?

Welskop-Deffaa: Woraus schließen Sie das?

epd: Wenn die Beschäftigten trotz fehlender Impfung weiter in den Einrichtungen arbeiten, kann man das kaum anders bewerten, als dass das Gesetz nicht wortgetreu umgesetzt wird.

Welskop-Deffaa: Das möchte ich so nicht stehen lassen. Wir sind per Gesetz als Träger verpflichtet, die Personen ohne Impfstatus an die Gesundheitsämter zu melden. Und das tun wir.

epd: Bleibt die Rolle der Gesundheitsämter ...

Welskop-Deffaa: Es gibt im Gesetz eine Kann-Vorschrift, die den Gesundheitsämtern die Möglichkeit gibt, Betretungsverbote auszusprechen. Das müssen die Ämter nicht, sie können es tun. Offenbar passiert das bislang eher selten.

epd: Das kann man zumindest merkwürdig nennen ...

Welskop-Deffaa: Es gibt Spielräume, die die Gesundheitsämter nutzen.

epd: Die Teil-Impfpflicht war ja von vielen Sozialverbänden nur als Vorstufe der allgemeinen Impfpflicht gesehen worden. Die kommt ja nun nicht. Oder rechnen Sie mit einem neuen Vorstoß der Bundesregierung?

Welskop-Deffaa: Das Scheitern der Ausweitung der Impfpflicht, auch der Vorschläge für eine Impfpflicht mit Altersgrenze 60 oder für eine sogenannte bedingte Impfpflicht war eine schwarze Stunde des Parlamentes. Ob es einen weiteren Vorstoß braucht, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. Es kann durchaus sein, dass wir die Debatte neu führen müssen. Wenn man sich einer neuen, aggressiven Virus-Variante gegenübersieht und zugleich einen Impfstoff bereithält, der dagegen wirksam schützt, wird eine neue Debatte über eine erweiterte Impfpflicht unvermeidbar.

epd: Sollte die einrichtungsbezogene Impfpflicht nach Ihrer Meinung, wie im Gesetz vorgesehen, weiter bis zum Jahresende gelten?

Welskop-Deffaa: Ja. Wir als Deutscher Caritasverband plädieren nicht für das Aussetzen der Teil-Impfpflicht. Ich weiß allerdings, dass es Mitglieder unseres Verbandes gibt, die das anders sehen, und finde es normal, dass es in einem so großen Verband bei einem sehr emotionalen Thema verschiedene Sichtweisen gibt.

epd: Lassen Sie uns über den Krieg in der Ukraine reden und die dadurch ausgelöste Flüchtlingsbewegung: Bleibt es nach Ihrer Einschätzung bei der großen Solidarität, die wir derzeit in Deutschland gegenüber den Geflüchteten erleben?

Welskop-Deffaa: Ich halte es für eine der zentralen Herausforderungen für den Deutschen Caritasverband, die Solidarität der Bevölkerung mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine nachhaltig zu unterstützen. Es ist kein Selbstläufer, dass die Solidarität dauerhaft erhalten bleibt. Es gibt politische Kräfte wie die AfD, die ein Interesse daran haben, die Stimmung umzudrehen, wie sie es im Jahr 2015 getan haben. Die Rechtspopulisten in Europa ergreifen jedes Thema, das sich ihnen bietet, um ihr Süppchen zu kochen.

Ich bin davon begeistert, dass das Leid der Geflüchteten aus der Ukraine eine so große Solidarbereitschaft auslöst. Sie zeigt sich diesmal auch in - verglichen mit 2015 - ganz neuen Formen. Dass die Menschen jetzt sagen, ich nehme Flüchtlinge in meiner Wohnung auf - wer hätte das erwartet? Ich finde das grandios.

epd: Wie lässt sich das stabilisieren?

Welskop-Deffaa: Ich möchte, dass das Matching besser wird. Das bedeutet: Wenn Flüchtlinge privat untergebracht werden, müssen die Profile passen und Gastgeber unterstützt und begleitet werden. Es sollte Kontaktbörsen geben, die Flüchtlinge und für sie geeignete Familien zusammenführen.

epd: Teilweise machen das ja schon die Kommunen ...

Welskop-Deffaa: Ja, es gibt auch private Initiativen und soziale Start-ups. Wir müssen versuchen, den Prozess zu qualifizieren. Und da bietet sich die Caritas als Partner vor Ort an. Außerdem braucht es Ombudsstellen für Fälle, in denen sich Konflikte anbahnen. Und Entlastungsmöglichkeiten für Gastfamilien.

epd: Wie sehen Sie die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für die Ukraineflüchtlinge, die ja in großer Zahl Frauen mit Kindern sind?

Welskop-Deffaa: Die Arbeitsmarktintegration der geflüchteten Frauen hängt stark von der Kinderbetreuung ab. Die allermeisten Frauen waren in der Ukraine berufstätig und werden hier arbeiten wollen. Wir müssen es Frauen mit Kindern ermöglichen, an Sprach- und Integrationskursen mit hohem Stundenumfang teilzunehmen. Das setzt eine Betreuung ihrer kleinen Kinder voraus.

epd: Können die Kitas eine so große Zahl zusätzlicher Kinder aufnehmen?

Welskop-Deffaa: Nicht ohne Anpassungen. Eltern und Erzieherinnen befürchten, mit einer Aufnahme zusätzlicher Kinder in die Kita-Gruppen sei die Gefahr einer nachhaltigen Absenkung der mühsam erreichten Qualitätsstandards in den Einrichtungen verbunden.

epd: Wäre es denn rechtlich statthaft, auf diese Weise den Betreuungsschlüssel abzusenken?

Welskop-Deffaa: Man kann sich rechtliche Ausnahmeregelungen vorstellen, bei denen etwa die Gruppengröße für ein Jahr erhöht werden dürfte. Ich glaube, die Kita-Frage wird die größte Solidaritätsfrage in Bezug auf das Zusammenleben mit den Geflüchteten aus der Ukraine werden. Daran wird sich entscheiden, ob die ukrainischen Frauen schon bald Jobs annehmen können, die für sie interessant sind und die auch mit Blick auf den Fachkräftemangel der Wirtschaft helfen.

epd: Das heißt, die Integration kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung in Deutschland bereit ist zusammenrücken ...

Welskop-Deffaa: Genau. Und wenn die Politik dies wahrnimmt und die Bereitschaft zur Solidarität entsprechend flankiert. Indem sie etwa frühzeitig ankündigt, einen Erweiterungsbau der Kitas zu ermöglichen oder Geld für zusätzliches Personal bereitzustellen.

epd: Wie beurteilen Sie die beruflichen Qualifikationen der Ukrainerinnen, um rasch in anspruchsvolle Jobs zu kommen?

Welskop-Deffaa: Ich darf den Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, zitieren. Er sagte kürzlich, die Integration der Flüchtlinge, die bereits im Land sind, sei angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt und der vielen freien Stellen kein Problem. Da gibt es vielleicht nicht sofort eine optimale Passung der Abschlüsse, aber unser Arbeitsmarkt ist offenbar so begierig, dass die Vermittlung leicht gelingen dürfte. Die Sprachkompetenzen sind ein Thema. Und in den regulierten Berufen müsste die Anerkennung der Abschlüsse erleichtert werden. Ich bin recht zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Die ersten Signale dazu sind ja schon da.