Magdeburg (epd). „Wie möchten Sie im Alter leben?“ Mit dieser Frage gingen 2016 die Pfeifferschen Stiftungen, die größte diakonische Komplexeinrichtung in Sachsen-Anhalt, aufs Land und befragten die Bürgerinnen und Bürger nach ihren Vorstellungen eines alter(n)sgerechten Quartiers.
Alter(n)sgerecht, weil Menschen im Prozess des Alterns bereits begleitet werden und somit die jungen Alten ihr eigenes Quartier selbstbestimmt mitgestalten können. Die Quartiersarbeit schafft somit Lebensräume, die Sicherheit und Lebensqualität mit Hilfe einer intakten Nachbarschaft, soziale Teilhabe und ein dichtes Netz an Unterstützungsangeboten bieten. Davon profitieren am Ende alle Generationen.
Erfolgreiche Quartiersarbeit stellt den Menschen in den Mittelpunkt und ist zugleich Antwort auf die Herausforderungen des demografischen Wandels - insbesondere im ländlichen Raum. Quartiersarbeit ist dabei immer ein Gemeinschaftsprojekt. Von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, sozialen Trägern, Wohnungsunternehmen und Kommunen selbst. Ihnen, den Kommunen, kommt dabei gerade auf dem Land eine Schlüsselrolle zu. Sie fungieren als Initiator, Moderator und Partner in diesem Prozess - in erster Linie aber sind sie Profiteure alter(n)sgerechter Quartiere.
Wesentliche Grundlage individueller Quartiersarbeit ist die wissenschaftliche Sozialraumanalyse. Ist das Quartier genau definiert und abgegrenzt, werden Ressourcen und Schwächen sowie Entwicklungsmöglichkeiten analysiert. Das liefert Erkenntnisse über die soziale, kulturelle und gesundheitliche Infrastruktur, deckt Versorgungslücken auf und macht Bedarfe und Wünsche der Bewohner - zum Beispiel in Befragungen, Interviews und Quartiersbegehungen - sichtbar.
Auf Basis dieser IST-Analyse werden eine Vision für das Quartier sowie ein Handlungskonzept mit konkreten Maßnahmen entwickelt, die die Bedarfe eines selbstbestimmten Lebens auf dem Land bedienen. Das geschieht unter der Leitung eines Kümmerers vor Ort, der den Diskussionsprozess mit den Betroffenen über die gesamte Projektlaufzeit weiterführt. Ein Kümmerer schafft Nähe zu den Menschen im Quartier und agiert als Sprachrohr gegenüber der regionalen Politik. Er berät außerdem die Menschen rund um das Thema Altern und Pflege, koordiniert Hilfestrukturen und initiiert gemeinsam mit den Bürgern Begegnungsangebote. Gemeinschaftliche Aktivitäten wie Feste, Kaffeerunden, Mittagstische oder Tagesausflüge verhindern Einsamkeit und beleben das Quartier.
Weiter gedacht, brauchen die Menschen nicht nur Begegnung, Austausch und Alltagshilfen durch ihre Nachbarschaft, sondern auch weiterführende Unterstützungssysteme wie Pflege und medizinische Versorgung. Auf dem Land erschweren der Fachkräftemangel und die langen Fahrtwegen die Situation. Hinzu kommt die Doppelbelastung pflegender Angehörige durch hohen Aufwand beim Pendeln. Um dem zu begegnen, wurde das Hybrid-Management entwickelt. Ein Mix aus Nachbarschaftshilfe, professioneller Pflege und Digitalisierung. Oder kurz: ein Bürger- Profi-Technik-Mix.
Im Rahmen eines Intrapreneurship-Programms entwickelten die Pfeifferschen Stiftungen ein Konzept, wie sich die Vorteile des innovativen niederländischen Pflegemodells Buurtzorg für Sachsen-Anhalt adaptieren lassen. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch als selbstbestimmtes Individuum. Er bestimmt auf direktem Wege mit dem oder der PflegerIn, was Tag für Tag durchgeführt werden kann. Eine hierarchisch festgelegte Pflegedienstleitung, die das sonst übernimmt, gibt es nicht. Pflegende Fachkräfte können wieder selbstwirksam und autonom arbeiten und haben Mitbestimmungsrecht in allen Belangen des Pflegedienstes, zum Beispiel: Wie gestalte ich meine Dienstzeit? Wen nehmen wir ins Team auf? Was geschieht mit den Erlösen?
Die Dokumentation gelingt am besten digital, also schnell und flexibel. Ausgestattet mit Smartphones werden die Pflege-Routen dargestellt und die Pflege simpel und ressourcenschonend belegt. Der Pflegedienst rechnet im besten Falle nicht nach Leistungskomplexen, sondern nach Zeitkomplexen mit den Kostenträgern ab. Das deutsche Abrechnungssystem beginnt sich zu wandeln. Dass das jedoch Zeit braucht, merkt auch das Team Heidepflege der Pfeifferschen Stiftungen.
Barrierefreies Wohnen mit der Sicherheit, im Notfall versorgt zu sein. Doch nicht unter den Alten allein zu leben, sondern im Zusammensein mit allen Quartiersbewohnern, auch den Jüngsten. Dieses Bedürfnis bildet ein neu entstehendes Quartierszentrum ab, das Tagespflege, barrierefreie Wohnungen, Wohnungsgemeinschaften für dementiell erkrankte Menschen und eine Begegnungsstätte für Jung und Alt miteinander kombiniert. Eine neue Dorfmitte, die den ländlichen Raum lebendig hält.
Quartiersmanagement ist Daseinsvorsorge. In den Altenberichten der Bundesregierung ist das die Lösung für die Herausforderungen der alternden Gesellschaft, für den demografischen Wandel mit seinem Fachkräftemangel und Versorgungslücken, dem Gefühl des Abgehängtseins. Nicht nur durch Prävention schont Quartiersmanagement langfristig den Geldbeutel der Kommunen, der Kostenträger im Gesundheitswesen und der Bundesregierung. Auch durch eine Verzögerung der stationären Unterbringung werden Sozialleistungen für Menschen, die von Altersarmut bedroht sind, gemindert. Die Frage der Finanzierung bleibt jedoch weiterhin ungeklärt und das, obwohl das Quartiersmanagement Daseinsvorsorge und „Patentrezept“ für unsere zukünftige Herausforderungen sein wird.