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50 Jahre Niedergang




Sozialzentrum "Mittendrin" und Beratungscafe "Lichtblick" in Pirmasens
epd-bild/Rudolf Stumberger
Für kaum eine Stadt in Deutschland trifft das Attribut "abgehängt" so sehr zu wie für Pirmasens in Rheinland-Pfalz. Vor 50 Jahren begann der wirtschaftliche Niedergang: Die Menschen zogen weg, Armut zog in die Stadt. Doch es gibt Lichtblicke.

Pirmasens (epd). Sie sind noch in der Stadt zu sehen, die Zeichen vergangener Größe: Mächtige Fabrikgebäude. Allerdings stehen sie meist leer. Seit mehr als fünf Jahrzehnten kämpft Pirmasens, das frühere Mekka der Schuhindustrie, gegen den Niedergang. Die Bevölkerung ist von fast 60.000 auf 40.000 Personen geschrumpft, die Stadt im Süden von Rheinland-Pfalz hält mit ihrer Pro-Kopf-Verschuldung einen Negativrekord. Schulen wie Straßen sind marode. Inzwischen haben sich einige neue Firmen angesiedelt, doch Arbeitslosigkeit und Kinderarmut sind hoch. „In Pirmasens kann man sehr gut eine Zwei-Drittel-Gesellschaft sehen“, sagt Manfred Vogel, Sozialpädagoge der evangelischen Johanneskirche in Pirmasens.

Jeden Dienstag und Donnerstag gibt die Tafel ab 14.30 Uhr Essen aus. Vor dem Lkw mit den Lebensmitteln hat sich eine lange Schlange gebildet: Jüngere und Ältere, Frauen mit Kindern, Männer mit Plastiktüten. 1.500 Menschen holen sich hier jede Woche Brot und Gemüse, Obst und Milchprodukte ab - wie mittlerweile in fast jeder deutschen Stadt.

Tafel-Chef will kein Interview geben

„Heute waren gar keine Bananen dabei“, klagt eine ältere Frau. Der Vorsitzende der Tafel will kein Interview geben. Vielleicht weil er früher schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht hat. Zu Pirmasens als Stadt des Niedergangs haben Journalisten ein ziemlich düsteres Bild gezeichnet.

Dieser Niedergang dauert nun schon mehr als fünf Jahrzehnte an. Nach dem Krieg konnte man in den Fabriken der Schuhindustrie gutes Geld verdienen. „Stepperinnen“, die geschickt mit der Nähmaschine umgehen konnten, waren gesucht. Fast in jeder zweiten Straße gab es eine Schuhfabrik.

Zusätzliche Arbeitsplätze boten die US-Streitkräfte in der Region, im Norden von Pirmasens lebten zeitweise 10.000 US-amerikanische Soldaten mit ihren Familien. Dann kam in den 1970er Jahren der wirtschaftliche Umbruch, die Schuhproduktion wurde in Billiglohnländer verlagert, reihenweise schlossen die Fabriken ihre Tore. Was folgte, waren Jahre der tiefen Depression.

Riesige Jobverluste durch Abzug der US-Soldaten

1997 begann der Abzug der US-Armee. 15.000 Arbeitsplätze gingen dadurch verloren. Aus Mangel an Arbeit zogen viele Bewohner der Stadt fort. 4.000 bis 5.000 Wohnungen stehen leer. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund elf Prozent und ist damit fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt des Landes.

Auch andere Zahlen sind alarmierend: Die Kinderarmut lag 2015 bei 29 Prozent (Landesdurchschnitt in Rheinland-Pfalz: 12,2 Prozent). Die kommunale Infrastruktur rottet vor sich hin: Schulen, Straßen und Abwasserkanäle sind dringend sanierungsbedürftig.

„Es ist enorm viel passiert“

Sozialpädagoge Manfred Vogel arbeitet im Sozialzentrum „Mittendrin“ und im Beratungscafé „Lichtblick“, er hilft unter anderem beim Ausfüllen von Behördenanträgen. Zwar würden Fachkräfte gesucht, aber viele hätten keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Trotzdem meint er, die Stadt habe die Lähmung der schlimmen 1990er Jahre überwunden, die Stimmung sei jetzt positiv: „Es ist enorm viel passiert und wir wissen, wo unsere Schwierigkeiten liegen.“

Neben dem Café gleichen Namens gibt es in der Tat einige Lichtblicke in der Stadt. So sind in Gebäude der ehemaligen US-Kaserne neue Firmen eingezogen. Insgesamt hätten sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten knapp 100 Betriebe mit den Schwerpunkten Technologie und Gewerbe neu angesiedelt, teilt das städtische Referat für Wirtschaftsförderung mit. Auch die Schuhindustrie spielt weiter eine Rolle: Beim „Internationalen Schuhkompetenz-Center“ in Pirmasens werden neue Techniken erprobt - wie etwa Schuhe mit Sensoren für Diabetiker.

Rudolf Stumberger