sozial-Recht

Bundessozialgericht

Hartz IV-Anspruch bei dauerhaftem "Urlaub" vom Maßregelvollzug




Häftlinge im Maßregelvollzug haben unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Hartz IV.
epd-bild/Heike Lyding
Überörtliche Sozialhilfeträger sind für die Resozialisierung von formal noch dem Maßregelvollzug angehörenden suchtkranken Straftätern nicht immer zuständig. So muss beim "Probewohnen" in einer eigenen angemieteten Wohnung das zuständige Jobcenter Hilfen leisten, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Jobcenter dürfen psychisch kranken und suchtkranken Straftätern beim Übergang vom Maßregelvollzug hin zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht alleine lassen. Sieht der Maßregelvollzug als Lockerungs- und Resozialisierungsmaßnahme ein dauerhaftes „Probewohnen“ in einer eigens dafür angemieteten Wohnung vor, muss das Jobcenter den mittellosen Betroffenen Hartz IV-Leistungen gewähren, urteilte am 5. August das Bundessozialgericht in Kassel.

Kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II bestehe aber, wenn der suchtkranke Straftäter aus der Justizvollzugsanstalt einer stationären Entwöhnungsbehandlung in einer Fachklinik und einer weiteren medizinischen Rehabilitation im betreuten Wohnen zugewiesen wird, so die obersten Sozialrichter in einem zweiten Urteil. In diesem Fall liege im weiteren Sinne eine Fortsetzung der Strafvollstreckung vor, bei der ein Hartz IV-Anspruch ausgeschlossen ist, so die Begründung.

Eigenständiges Wohnen im Zuge eines Lockerungskonzeptes

Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II ausgeschlossen, wenn der Antragsteller in einer „stationären Einrichtung untergebracht ist“. „Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt“, heißt es dazu im Sozialgesetzbuch II.

Im ersten Verfahren ging es um einen suchtkranken Mann aus Krefeld, der Ende 2015 in den Maßregelvollzug einer Klinik im niederrheinischen Bedburg-Hau kam. Mitte 2017 erhielt er die höchste Lockerungsstufe des achtstufigen Lockerungskonzepts. Damit einher ging auch die Möglichkeit einer Langzeitbeurlaubung, um in eine eigene Wohnung zu beziehen, die er Im August 2017 in Krefeld mietete.

Ganz eigenständig war er jedoch nicht. Das Lockerungskonzept der Klinik sah unter anderem vor, dass der Mann alle zwei Wochen noch einmal bei den Ärzten vorstellig wird, er ständig telefonisch erreichbar ist und er jeglichen Kontakt zu anderen suchtkranken Personen meidet. Im Rahmen seines dauerhaften Probewohnens durfte er auch keine Ausgaben von über 300 Euro tätigen.

Nur Anspruch auf wenig Bargeld

Zur Deckung seines Lebensunterhaltes beantragte er beim Jobcenter Krefeld Hartz IV. Er hoffte auf die Übernahme der Unterkunftskosten und den Erhalt von Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. So sind etwa die Übernahme von Lehrgangskosten oder auch im Fall einer Einstellung Zuschüsse für den Arbeitgeber möglich. Bei einer Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers, hier des Landschaftsverbandes Rheinland, bestand nach Angaben des Anwalts des Klägers dagegen lediglich ein Anspruch auf einen Bargeldbetrag in Höhe von 127 Euro.

Das Jobcenter meinte, dass der Mann von Hartz IV-Leistungen ausgeschlossen sei. Zwar wohne er probeweise in einer eigenen Wohnung. Er gehöre aber dennoch formal dem Maßregelvollzug und damit einer „stationären Einrichtung“ noch an.

Das BSG urteilte jedoch, dass dem Kläger Arbeitslosengeld II zusteht. Bei einer Unterbringung im Maßregelvollzug sei zwar ein Leistungsanspruch ausgeschlossen, wenn die „Unterkunft des Berechtigten der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers zugeordnet ist“. Beim „Probewohnen“ in einer vom Kläger angemieteten Wohnung, „die räumlich keinem Träger zugeordnet werden konnte“, bestehe solch eine Bindung zum Träger der Einrichtung nicht. Dann müsse das Jobcenter Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts gewähren.

Kein Hartz IV bei stationärer Entwöhnungstherapie

Kein Arbeitslosengeld II-Anspruch bestehe aber, wenn die Strafvollstreckung eines suchtkranken Straftäters zurückgestellt und dieser zur stationären Entwöhnungsbehandlung zunächst in eine Fachklinik und anschließend in einer dreimonatigen sogenannten Adaptionsphase in ein betreutes Wohnen untergebracht ist, entschied das BSG im zweiten Fall.

Der überörtliche Sozialhilfeträger hatte argumentiert, dass diese Form der Rehabilitation einem normalen Krankenhausaufenthalt gleichzusetzen sei. Bei Klinikaufenthalten von unter sechs Monaten könnten Hartz IV-Leistungen beansprucht werden. Während der Adaptionsphase könnten Betroffene zudem mit Praktika die Rückkehr in das Arbeitsleben vorbereiten. Das Jobcenter sei hier damit zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zuständig.

Das BSG urteilte, dass der Kläger trotz seiner Überstellung in die Klinik und dem betreuten Wohnen sich noch im „Vollzug“ einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung befand. Es habe eine enge Verbindung zum Strafvollzug bestanden. Ein Arbeitslosengeld II-Anspruch bestehe daher nicht. Vielmehr sei der überörtliche Sozialhilfeträger für den Suchtkranken zuständig, so das Gericht.

Az.: B 4 AS 26/20 R (Probewohnen)

Az.: B 4 AS 58/20 R (Entwöhnungstherapie)

Frank Leth