sozial-Recht

Bundesverfassungsgericht

Patientenverfügung kann Zwangsbehandlung entgegenstehen



Eine in einer Patientenverfügung untersagte medizinische Zwangsbehandlung eines psychisch kranken Patienten muss beachtet werden. Dient die Behandlung allein der Gesundheit des Kranken, ist diese gegen den Willen des Patienten unzulässig, entschied das Bundesverfassungsgericht.

Karlsruhe (epd). Patientinnen und Patienten haben der Entscheidung aus Karlsruhe zufolge ein Recht auf „Freiheit zur Krankheit“. Daher können psychisch kranke Straftäter im Maßregelvollzug mit einer wirksamen Patientenverfügung auch eine Zwangsbehandlung untersagen, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 30. Juli veröffentlichten Beschluss. Das gelte zumindest dann, wenn die Zwangsmaßnahme allein dem Schutz des Betroffenen dienen soll. Werde dennoch zwangsweise eine Medikamentengabe veranlasst, könne das Recht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit und dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt sein.

Im Streitfall ging es um einen an einer Schizophrenie erkrankten Mann. Dieser hatte während einer wahnhaften Störung mit einem Besteckmesser auf den Brustkorb eines Nachbarn eingestochen. Der Mann kam daraufhin ab Oktober 2015 in den Maßregelvollzug.

Gabe von Psychopharmaka untersagt

Bereits im Juni 2005 hatte er mit einer Patientenverfügung bestimmt, welche medizinischen Maßnahmen verboten sein sollen, wenn er selbst darüber nicht mehr frei bestimmen kann. So hatte er lebens-verlängernde Maßnahmen sowie Fremdbluttransfusionen abgelehnt. In einem weiteren, ergänzenden Schriftstück vom 11. Januar 2015 untersagte er zudem jedem Arzt, Pfleger und andere Personen ihm „gegen seinen Willen“ Psychopharmaka zu verabreichen.

Die behandelnden Ärzte im Maßregelvollzug beantragten im September 2016 dennoch die Zwangs-behandlung mit Neuroleptika. Andernfalls drohten mit hoher Wahrscheinlichkeit „irreversible hirnorganische Gesundheitsschäden“. Ohne Erfolg hatte der psychisch kranke Mann vor Gericht auf seine Patientenverfügung verwiesen, in der er Psychopharmaka ablehnte. Das Landgericht Nürnberg-Fürth genehmigte die Zwangsmaßnahme jedoch und verlängerte die Zwangsmedikamentation bis zum August 2017.

Die dagegen eingelegten Verfassungsbeschwerden hatten jetzt überwiegend Erfolg. Die Fachgerichte haben das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht unzureichend beachtet, entschied das Bundesverfassungsgericht. Patienten hätten ein Recht auf „Freiheit zur Krankheit“. Dies schließe auch das Recht ein, „auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese (...) dringend angezeigt sind und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen kann“.

Wirksamkeit der Verfügung ist relevant

Verbiete ein Patient in einer wirksamen Patientenverfügung bestimmte medizinische Maßnahmen, müsse das beachtet werden. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Patientenverfügung sei, dass sie unter freien Willen verfasst wurde.

Eine medizinische Zwangsbehandlung sei aber trotz des in der Patientenverfügung enthaltenen Verbotes dann erlaubt, wenn diese dem Schutz von Ärzten, Pflegekräften oder anderen Personen dient - etwa vor tätlichen Angriffen des Patienten. Hier müsse aber immer geprüft werden, ob die Zwangsbehandlung verhältnismäßig sei, so die Verfassungsrichter.

Im konkreten Fall müssen die Fachgerichte noch einmal abwägen, ob die Patientenverfügung wirksam vom Beschwerdeführer verfasst wurde und ob die Zwangsmedikation auch dem Schutz Dritter dient.

Bereits am 10. Juli 2017 hatten die Verfassungsrichter in einer anderen Entscheidung betont, dass eine medizinische Zwangsbehandlung „nur als letztes Mittel“ zulässig ist. Bei nicht einsichtsfähigen Kranken müsse zunächst versucht werden, diese in Gesprächen zur Durchführung einer Behandlung umzustimmen.

Ärztliche Aufsicht zwingend geboten

Weiter ist laut Karlsruhe eine Zwangsbehandlung nur unter ärztlicher Aufsicht zulässig. Dabei sei zu dokumentieren, welche Maßnahmen unter Zwang erfolgt sind und wie dies durchgesetzt wurde. Jede Zwangsbehandlung müsse zudem erfolgversprechend und verhältnismäßig sein. Planbare Behandlungen seien dem Patienten anzukündigen, damit er gegebenenfalls gerichtlichen Schutz suchen kann.

Die Zwangsmaßnahmen bleiben nach einem weiteren Beschluss der Verfassungsrichter vom 7. August 2018 bis auf Weiteres den Kliniken vorbehalten. Das Gesetz sehe weiterhin „die Zwangsbehandlung außerhalb eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus bewusst nicht vor“. Dabei habe der Gesetzgeber sich mehrfach und ausführlich mit der Möglichkeit auch einer ambulanten Zwangsbehandlung auseinandergesetzt.

Konkret habe der Gesetzgeber befürchtet, dass insbesondere psychiatrische Zwangsbehandlungen dann häufiger „ohne ausreichende Prüfung von weniger eingriffsintensiven Alternativen und damit auch in vermeidbaren Fällen durchgeführt würden“. Häufig könnten Zwangsbehandlungen durch eine „vertrauensvolle Unterstützung“ vermieden werden, so das Gericht.

Az.: 2 BvR 1866/17 und 2 BvR 1314/18 (Patientenverfügung)

Az: 2 BvR 2003/14 (letztes Mittel)

Az.: 1 BvR 1575/18 (ambulante Zwangsmaßnahme)

Frank Leth