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Corona

Long-Covid-Patienten brauchen maßgeschneiderte Reha-Programme




Claudia Ellert erkrankte an Long Covid.
epd-bild/Rolf K. Wegst
Long-Covid-Patienten fehlt oft eine Anlaufstelle. Die Wetzlarer Ärztin Claudia Ellert, die selbst an Covid-19 erkrankt war, hat deshalb eine ambulante Reha-Gruppe gegründet.

Wetzlar, Schönau (epd). Claudia Ellert, Gefäßchirurgin, Hobby-Triathletin, Mutter konnte sich gar nicht vorstellen, dass es einmal so sein könnte: Dass sie die langen Arbeitstage in der Klinik nicht mehr packt. Dass sie Nordic Walking versucht, aber noch nicht einmal die Stöcke anheben kann. „Die Aktivität selbst geht“, erzählt sie. „Aber dann kommt der Einbruch hinterher.“ Die Erschöpfung kann sich über Tage, Wochen erstrecken.

„Ein super Hygienekonzept“

Ellert hat mittlerweile eine Diagnose für ihre Krankheit: Long Covid. Im November infizierte sie sich bei der Arbeit in den Lahn-Dill-Kliniken in Wetzlar mit dem Coronavirus. Die Klinik hatte ein „super Hygienekonzept“, berichtet sie, „alle trugen FFP2-Masken“. Ellert fühlte sich „grippig“, blieb drei Wochen zu Hause, und wollte wieder loslegen. Doch es ging nicht.

Bei einigen Menschen treten Wochen und Monate nach einer Corona-Infektion noch Symptome auf: Erschöpfung, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Husten, Atemnot, Depressionen. Die Medizin spricht inzwischen von „Post Covid“ oder „Long Covid“, je nachdem, wie lange die eigentliche Covid-19-Erkrankung zurückliegt. Fachleute gehen derzeit davon aus, dass etwa zehn Prozent der an Corona Erkrankten unter Spätfolgen leiden.

Claudia Ellert sagt, dass Long-Covid-Betroffene bei den Hausärztinnen und Hausärzten oft auf Unverständnis stoßen. Die Beschwerden sind meist diffus. Ärzte könnten damit wenig anfangen, es fehlten klare Befunde. „Es braucht Anlaufstellen, damit die Leute nicht verzweifelt zu Hause sitzen“, sagt die Ärztin.

Ansturm in ambulante Reha-Gruppe

Sie hat deshalb eine ambulante Reha-Gruppe für Long-Covid-Patienten gegründet. Der Ansturm war enorm. Eine erste Gruppe ist mit zwölf Teilnehmern bereits voll, es existiert eine Warteliste. Die Gruppe ist an einem Rehazentrum angesiedelt, das zu den Lahn-Dill-Kliniken gehört. Ellert arbeitet mit Therapeutinnen und Therapeuten zusammen. Sie wollen den Kranken ein niedrigschwelliges Angebot aus Bewegung, Atemübungen und Entspannungsgymnastik anbieten, denn „Bewegung ist immer gut“, erklärt Ellert.

Sie selbst musste allerdings „runterkommen von der Aussage, dass mit Sport alles geht“, wie sie sagt. Die Wetzlarer Ärztin war Anfang des Jahres zur Reha in der Schön Klinik in Schönau am Königssee in Oberbayern. Dort habe sie Verschiedenes ausprobiert, etwa mit kleinen Gewichten trainiert. „Aber alles körperliche Training überfordert mich.“

Die Schön Klinik liegt inmitten einer wundervollen Landschaft. Schönau am Königssee ist von den Berchtesgadener Alpen umgeben. Die Klinik hat rund 70 ihrer 100 Betten mit Long-Covid-Patienten belegt. Manche von ihnen haben wenig von der herrlichen Natur, denn sie sehen die schneebedeckten Alpen nur durchs Zimmerfenster. „Einige sind so krank, dass sie gar nicht das Bett verlassen können“, sagt der Chefarzt des Fachzentrums Pneumologie, Rembert Koczulla.

„Unter dem Radar“

Die Mediziner sprechen von „Clustern“, also Mustern, wenn sie Long Covid unterteilen. Es gibt das Lungen-Cluster - Menschen, die zum Beispiel unter Luftnot leiden. Patienten des neurologischen Clusters können Kopfschmerzen oder Gedächtnisstörungen haben. Die Ärzte behandeln sie entsprechend, schildert Koczulla: Bei Husten bekommen sie zum Beispiel ein Medikament zum Inhalieren, bei Hautkrankheiten Cremes oder ein Paraffinbad, bei Problemen mit der Konzentration machen sie ein spezielles Gedächtnistraining. „Die Patienten brauchen ein maßgeschneidertes Programm“, erklärt der Pneumologe.

Die Rehabilitation genieße in Deutschland bisher nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Sie laufe oft „unter dem Radar“, sagt Koczulla. Er fordert eine Akademisierung der Reha, also die Ausbildung und Forschung auch an den Hochschulen anzusiedeln. Koczulla besetzt den einzigen Lehrstuhl für pneumologische Rehabilitation in Deutschland und arbeitet mit seinem wissenschaftlichen Institut zu Long Covid. „Wir haben mit Long Covid eine neue Erkrankung mit fehlenden Daten zu vielen Fragen und noch keine perfekte Infrastruktur im Nutzen und Definieren der Reha. Das macht es doppelt schwer, die Patienten optimal zu versorgen.“

Die Deutsche Rentenversicherung ist in der Regel bei Berufstätigen für die Reha zuständig. Man biete eine spezielle Post-Covid-Rehabilitation an, sagt ihr Sprecher Dirk von der Heide. Seit Dezember gebe es gehäuft Behandlungen. Bisherige Beobachtungen der Mediziner der Rentenversicherung stimmten zuversichtlich. Ob es die Symptome Atemnot, geringe körperliche Leistungsfähigkeit, psychische Störungen oder Erschöpfung seien: „Die Beschwerden bessern sich während der Reha deutlich.“

Claudia Ellert fand einen Weg, um mit ihrer Krankheit umzugehen. Mediziner nennen es „Pacing“, was „Ermüdungsmanagement“ meint. Ellert übersetzt das so: „Du hast geringere Energiereserven. Nutze nur sie.“

Stefanie Walter