» Psychologe: Silvester-Gewalt soziales Problem, kein ethnisches
» Reul: Gruppen junger Männer entscheidend bei Silvester-Gewalt
» Paus für Abschaffung des Abtreibungsverbots im Strafgesetzbuch
» 2,2 Milliarden Euro Minus in der Pflegeversicherung
» Krankenkasse fördert Selbsthilfeorganisationen
» TK-Studie: 46 Prozent arbeiten auch krank im Homeoffice
» Saar-Arbeitskammer rät Krankenhausbeschäftigten zur Klage

Kriminalität

Psychologe: Silvester-Gewalt soziales Problem, kein ethnisches




Kazim Erdogan
epd-bild/privat
Der Soziologe und Psychologe Kazim Erdogan erläutert im epd-Gespräch die Hintergründe der Gewaltexzesse während der Silvesternacht in Berlin-Neukölln. Das Vorstandsmitglied des Vereins "Aufbruch Neukölln" ist in dem Stadtteil in der Sozialarbeit tätig.

Berlin (epd). Der Berliner Soziologe und Psychologe Kazim Erdogan bezeichnet die Debatte um die ethnischen Hintergründe der Silvester-Krawalle als „Schnellschüsse“. Es gehe dabei darum zu verschleiern, dass man keine schnellen Antworten auf soziale Entwicklungen habe, sagte der Vorstand des Vereins „Aufbruch Neukölln“ dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Mehr als 90 Prozent der jungen Menschen, um die es in der Debatte gehe, seien hier geboren und sozialisiert. „Diese jungen Leute sind hier in ihrem ganzen Leben nie positiv aufgefallen“, sagte Erdogan, der mit seinem Verein Sozialarbeit im Berliner Stadtteil Neukölln leistet. Ohne Erfolgserlebnisse könne kein positives Selbstbild entstehen. Die Identität dieser Menschen sei nicht gefestigt, und in Gruppen fänden sie Identität und Stärke. In Gruppen reflektierten sie aber ihr Verhalten nicht. Das könne Gruppenprozesse eskalieren und unkontrollierbar werden lassen.

Allerdings gebe es in den Milieus, in denen er arbeite, auch eine Neigung zu Gewalt. Erdogan nannte ein „teuflisches Viereck“, das Faktoren für Gewalt abbilde: erstens fundamentalistische Einstellungen, zweitens traditionalistische Lebensweisen, drittens starker Nationalismus, viertens Druck des Umfelds. „Diesen Druck des Umfelds haben wir an Silvester gesehen“, erklärte Erdogan.

Die Beschränkungen durch die Corona-Pandemie haben Erdogan zufolge ebenfalls eine Rolle gespielt. Es seien in diesem Jahr sehr viele Böller gekauft und eingesetzt worden. „Es gab schon eine Sehnsucht nach Exzess“, sagte er. „Zwei Jahre gab es teilweise Isolation, Angst und Verunsicherung. Und jetzt ganz plötzlich - ich übertreibe jetzt ein wenig - die Luft der Freiheit.“ In einer Atmosphäre der Befreiung suche man unbewusst nach Feinden. In diesem Moment seien Rettungskräfte und Feuerwehrleute als Feinde wahrgenommen worden.

Langfristig löse man die Integrationsprobleme, indem man sozial benachteiligte Menschen nicht länger ignoriere. Er unterstütze den Vorschlag von runden Tischen, wie sie etwa von der Gewerkschaft der Polizei gekommen seien. Wenn man dazu Elternhäuser, Bildungseinrichtungen. Migrantenorganisationen oder Moscheevereine einlade, entstünde ein Wir-Gefühl.

Die Gewalt bekomme man in den Griff, indem man sie im Gespräch mit Gewalttätern thematisiere.


 
 

Kriminalität

Reul: Gruppen junger Männer entscheidend bei Silvester-Gewalt



Köln (epd). Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hält als Konsequenz aus den Gewaltexzessen zu Silvester mehr Polizeipräsenz für notwendig. Um einzugreifen und die Täter zu ermitteln, „dazu brauchen wir genug Polizisten“, sagte Reul am Donnerstag im Deutschlandfunk. Höhere Strafen seien für ihn nicht prioritär. „Was nützt es, eine höhere Strafe zu haben, wenn ich den Typen, der den Böller schmeißt, gar nicht ermitteln kann?“, fragte Reul.

Der CDU-Politiker warnte davor, die Krawalle ausschließlich mit einer gescheiterten Integration von Migranten zu erklären. Er weise seit Monaten darauf hin, „dass wir ein Problem haben mit Gruppen junger Männer, mit migrantischem Hintergrund und ohne migrantischen Hintergrund“. Hinzu komme eine grundsätzlich erhöhte Gewaltbereitschaft.

Bei den Silvesterfeiern war es in mehreren deutschen Städten zu schweren Ausschreitungen gekommen. Angesichts teils gezielter Attacken auf Polizisten und Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten wurde der Ruf nach Konsequenzen laut.

Laut Reul kamen in Nordrhein-Westfalen rund 250 Menschen vorläufig in Gewahrsam oder wurden vorläufig festgenommen. Etwa die Hälfte davon habe keine deutsche Staatsbürgerschaft, bei der anderen Hälfte gebe es zudem Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft. „Das ist aber wirklich jetzt noch ungenau“, schränkte Reul ein.

Wahrscheinlich sei es in Nordrhein-Westfalen „nicht ganz so schlimm“ gewesen wie in Berlin. „Aber es ist eben ausreichend schlimm“, fügte der CDU-Politiker hinzu.

Nach vorläufigen Angaben der Berliner Polizei haben in der Hauptstadt 45 der 145 Festgenommenen die deutsche Staatsbürgerschaft, 27 die afghanische und 21 die syrische. Der Rest verteilt sich auf 17 weitere Nationalitäten. Die Angaben sind vorläufig, bei 13 der mutmaßlichen Täter ist die Staatsangehörigkeit noch unklar.


 
 

Bundesregierung

Paus für Abschaffung des Abtreibungsverbots im Strafgesetzbuch



Berlin (epd). Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) dringt auf eine Abschaffung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. „Wer anders als die Schwangeren selbst sollte entscheiden, ob sie ein Kind austragen möchten oder können? Wer anders als die Frauen selbst sollte darüber entscheiden, wann und in welchen Abständen sie Kinder bekommen?“, fragte Paus im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag).

Es gehe um fundamentale, um existenzielle Fragen: Es gehe um das Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung und um das Recht von Frauen, über ihren Körper zu entscheiden, sagte die Grünen-Politikerin: „Für mich ist das Strafgesetzbuch nicht der richtige Ort, das zu regeln.“

Bislang legt Paragraf 218 fest, dass Abtreibungen im Grundsatz verboten, unter gewissen Voraussetzungen aber möglich sind. Sie bleiben unter anderem straffrei nach einer verpflichtenden Beratung und bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. Die Ampel-Koalition will eine Kommission einsetzen, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen soll.

Paus sagte, Grundpfeiler des Menschenrechts auf reproduktive Selbstbestimmung seien neben dem Zugang zu sicheren und erschwinglichen Verhütungsmitteln auch die Gewährleistung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie einer selbstbestimmten und sicheren Schwangerschaft und Geburt. „Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dürfen nicht länger stigmatisiert werden“, forderte die Grünen-Politikerin.


 
 

Pflege

2,2 Milliarden Euro Minus in der Pflegeversicherung



Berlin (epd). Die Pflegeversicherung hat nach Angaben des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherungen zum Jahresende 2022 ein Defizit von rund 2,2 Milliarden Euro eingefahren - knapp 900 Millionen Euro mehr als ein Jahr zuvor. Die Liquiditätsreserve lag zum Jahresende bei rund 5,7 Milliarden Euro und damit 1,2 Milliarden unter der gesetzlich vorgesehenen Höhe, wie der GKV-Spitzenverband in Berlin am Donnerstag mitteilte. „Die Konsequenz ist, dass der Finanzdruck auf die soziale Pflegeversicherung steigt“, erklärte der Verband.

„Die Lage ist noch dramatischer, als es auf den ersten Blick erscheint“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Verbandes, Gernot Kiefer. Denn es müsse berücksichtigt werden, dass in diesen Finanzmitteln schon ein Darlehen des Bundes von einer Milliarde Euro stecke. „Das ist also fremdes Geld - und es muss bis Ende 2023 an den Finanzminister zurückgezahlt werden“, sagte Kiefer.

Als Grund für das Defizit nannte er, dass die Ausgaben der Pflegeversicherung stärker gestiegen seien als die Beitragseinnahmen. Trotz der finanziellen Lücke blieb der Beitragssatz der gesetzlichen Pflegeversicherung zum Jahreswechsel bei 3,4 Prozent für Kinderlose und 3,05 Prozent für Beitragszahler mit Kindern.

Der GKV-Vize hatte bereits im Dezember in einem Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ gewarnt: „Je länger die politischen Entscheidungen ausbleiben, desto größer werden die Probleme. Der Beitragssprung, der auf die Versicherten und Arbeitgebenden zukommt, wird immer größer, je länger nicht gehandelt wird.“


 
 

Gesundheit

Krankenkasse fördert Selbsthilfeorganisationen



Düsseldorf (epd). Die Techniker Krankenkasse (TK) stellt in diesem Jahr bundesweit rund 13,5 Millionen Euro für Selbsthilfeorganisationen und -kontaktstellen bereit. Auf Nordrhein-Westfalen entfällt davon etwa eine halbe Million Euro, wie die TK-Landesvertretung NRW am Donnerstag in Düsseldorf mitteilte. „Die Selbsthilfe leistet einen wichtigen und oft unterschätzten Beitrag zur Gesundheitsfürsorge“, sagte TK-Landeschefin Barbara Steffens dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anträge auf Förderung könnten bis zum 31. März eingereicht werden.

Unterstützt werden den Angaben zufolge unter anderem Projekte, die das Potenzial der Digitalisierung nutzen und damit zu einer Verbesserung der medizinischen Versorgung beitragen. Als Beispiel nannte Steffens das Projekt „mog - Meine Online Selbsthilfegruppe“. Die Videochat-Gruppen für Suchtkranke und ihre Angehörigen seien bereits vor Corona gestartet worden, hätten sich aber besonders in der Pandemie bewährt. „Die durch die Kontaktbeschränkungen entstandenen Betreuungslücken konnten mit dem virtuellen Angebot sehr gut geschlossen werden.“


 
 

Gesundheit

TK-Studie: 46 Prozent arbeiten auch krank im Homeoffice



Hamburg (epd). Nach einer Studie der Techniker Krankenkasse (TK) geht mehr als ein Viertel der Beschäftigten „häufig oder sehr häufig“ krank zur Arbeit. Husten, Fieber, Heiserkeit seien für viele kein Grund, sich zu Hause auszukurieren, wie die TK am Donnerstag mitteilte. Unter Führungskräften greifen 21 Prozent häufig zu Medikamenten, um arbeiten zu können.

Homeoffice verstärke das Problem noch, heißt es in der Studie „Präsentismus in einer zunehmend mobilen Arbeitswelt“. So geben 46 Prozent der 1.233 befragten Beschäftigten an, dass es im Homeoffice vorkommt, dass sie arbeiten, obwohl sie sich krank fühlen. Zwölf Prozent arbeiten dort nach eigenen Angaben „häufig“, obwohl sie krankgeschrieben sind, und 30 Prozent nehmen im Homeoffice oft Medikamente, um arbeiten zu können.

Besonders Frauen, Führungskräfte und jüngere Beschäftigte gehen krank ihrer Erwerbsarbeit nach. Als häufigste Gründe werden eine fehlende Vertretung, eine nicht ansteckende Krankheit, dringende Termine, Spaß am Job und die Solidarität mit dem Team genannt. Laut Studie geben nur 17 Prozent der Beschäftigten an, immer zu Hause zu bleiben, wenn sie krank sind.

„Krank zu arbeiten, hilft niemandem“, sagte TK-Vorsitzender Jens Baas. Verzögerte Genesung, eingeschränkte Leistungsfähigkeit, mehr Fehler und Unfälle sowie angesteckte Kolleginnen und Kollegen: „Das sind nur einige der möglichen Folgen, wenn Beschäftigte krank zur Arbeit gehen“, zählte Baas auf. Dabei wünschten sich die Beschäftigten klare Ansagen und Regeln von ihren Führungskräften.


 
 

Arbeit

Saar-Arbeitskammer rät Krankenhausbeschäftigten zur Klage



Saarbrücken, Bad Kreuznach (epd). Die Arbeitskammer des Saarlandes rät den Beschäftigten des Evangelischen Stadtkrankenhauses (EVK) in Saarbrücken, gegen an Weihnachten erhaltene Änderungskündigungen zu klagen. „Es ist nicht nachzuvollziehen, dass ein christlicher Träger seinen langjährigen Beschäftigten pünktlich zum Weihnachtsfest extrem komplexe Schreiben mitsamt einer Kündigung zukommen lässt“, sagte Arbeitskammer-Geschäftsführerin Beatrice Zeiger am Mittwoch in Saarbrücken. Für die Betroffenen ist laut Arbeitskammer kaum zu erkennen, was für Konsequenzen tatsächlich auf sie zukommen und welche Entscheidungsgrundlagen zu berücksichtigen sind.

„Nicht nur dieser Termin der Zustellung ist problematisch, die Betroffenen haben aufgrund der Feiertage und damit geschlossenen Beratungseinrichtungen, Gewerkschaftsbüros und Anwaltskanzleien auch weniger Chancen, sich rechtzeitig beraten zu lassen“, kritisierte Zeiger. Seit Jahresbeginn haben sich den Angaben zufolge „etliche Beschäftige“ des Krankenhauses an die Beratungsabteilung der Arbeitskammer gewendet.

Die Schreiben der Kreuznacher Diakonie enthielten „teilweise unzumutbare Umsetzungsvorgaben, wie beispielsweise die Verpflichtung zur Arbeitsaufnahme in Bad Kreuznach, Kirn oder Ähnliches“, hieß es. „Dazu wurde - für den Fall, dass sich diese Umsetzungen nicht über eine einfache Anweisung durchsetzen lassen sollten - jeweils eine Änderungskündigung ausgesprochen.“

Gegen diese sollten sich Betroffene im Zweifel vor dem 13. Januar mit einer Klage beim Arbeitsgericht Saarland wenden, um nicht zu riskieren, dass die Kündigungen wirksam werden, rät die Arbeitskammer. „Denn nach Ablauf einer Frist von drei Wochen nach Erhalt der Kündigungen könnte man sich möglicherweise nicht mehr gegen die geplanten Zumutungen wehren.“

Die Kreuznacher Diakonie hatte im September 2022 angekündigt, das EVK in den kommenden sechs Monaten zu schließen. Hintergrund sind den Angaben zufolge Defizite in Millionenhöhe.