Nicht immer auf Empfang: Hirnforscher rät zu Digital Detox im Urlaub
epd-Gespräch: Karen Miether
Braunschweig (epd). Der Braunschweiger Hirnforscher Martin Korte rät dazu, im Urlaub das Smartphone täglich auch einmal zur Seite zu legen. Immer erreichbar zu sein oder von TikTok-Videos und Instagram-Posts abgelenkt zu werden, sorge für Stress und schade langfristig der Gesundheit. Phasen der Langeweile könnten dagegen guttun und Kreativität freisetzen, sagt der Professor für Neurobiologie an der Technischen Universität Braunschweig im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Professor Korte, inwieweit stört die Allgegenwart des Smartphones die Urlaubserholung?
Martin Korte: Das kommt natürlich darauf an, was man auf seinem Smartphone macht und wie viel man parallel macht. Oft schauen sich Menschen im Urlaub etwas Tolles an, sind aber gleichzeitig mit der Nutzung ihres Smartphones beschäftigt, weil Nachrichten eingehen oder weil sie Nachrichten verschicken. Es ist aber für die Erholung viel besser, das Erlebte erst einmal achtsam in sich aufzunehmen, bevor ich darüber nachdenke, wie ich es der Welt mitteile.
Gerade im Urlaub sollte ich also das sogenannte Multitasking verhindern. Ich sollte eben nicht abends beim Grillen sitzen und nebenher irgendwelche Nachrichten checken oder Videos schauen. Ich sollte überlegen, ob ich nicht paar Stunden digitales Detox am Tag aushalte. Seien wir ehrlich, die meisten benötigen im Urlaub über einen Großteil des Tages das Smartphone nicht dringend.
epd: Es können ja nicht nur Nachrichten aus dem Freundeskreis aufploppen, sondern auch Dienstliches. Was bewirkt das?
Korte: Nachrichten von Freunden sind zumeist harmlos. Bei Arbeitsnachrichten muss ich abwägen: Muss ich wirklich erreichbar sein? Es ist besser, wenn die Gedanken nicht immer in die Arbeitswelt zurückgehen, die ja oft auch stressbehaftet sein kann. Selbst wenn wir gar nicht unmittelbar reagieren, sondern uns aufgrund der eingehenden Nachrichten nur vornehmen, etwas zu erledigen, wenn wir zurückgekommen sind, belegt das „Rechenkapazität“ im Gehirn.
epd: Was passiert denn im Gehirn, wenn die Arbeit mich per Smartphone im Urlaub begleitet?
Korte: Im Stirnlappen wird verhandelt, worauf sich unser Gehirn gerade konzentriert. Das ist das sogenannte Arbeitsgedächtnis. Den Begriff kennt man auch aus der Computerwelt. Er steht dafür, dass all die Programme, die man gerade geöffnet hat, leichter und schneller verfügbar sind. Ähnlich ist es auch in unserem Arbeitsgedächtnis. Wenn wir mit Menschen reden, dann verarbeiten wir erst einmal, was sie gesagt haben oder was wir sagen möchten. Aber im Arbeitsgedächtnis läuft zeitgleich auch ein Prozess ab, wenn wir parallel einen Blick auf unser Smartphone werfen. Und das führt dann zu einer Stressreaktion.
So ist es auch mit Nachrichten, die uns aus der Arbeitswelt erreichen und die uns daran erinnern, was wir zu erledigen haben oder wie viel wir zu erledigen haben. In unserer von Informationen überfluteten Arbeitswelt geraten wir oft für viele Wochen und Monate in eine Stresssituation, hetzen von einer Deadline zur nächsten. Auch wenn das soziale Verhältnis am Arbeitsplatz angespannt ist, belastet uns das. Da ist es wichtig, aus der Stressfalle herauszukommen, und dafür sollte der Urlaub da sein. Denn chronischer Stress kann das Immunsystem, das Gehirn und auch das Herz schädigen.
Im Urlaub kann ich zwei, drei Wochen lang die Stress-Achse des Körpers wieder herunterregulieren. Das ist extrem wichtig, denn wenn die ständig hochreguliert ist, dann kommt sie völlig aus dem Takt. In der Folge wird die Stressreaktion auch bei kleineren Ereignissen nicht mehr gestoppt. Man hat ständig einen hohen Level an Stresshormonen im Blut und damit auch im Gehirn. Das kann bis zur Depression führen.
epd: Aber ich kann doch das Smartphone nutzen, etwa um den Weg zu finden oder ein passendes Restaurant?
Korte: Es ist extrem praktisch, wenn ich das Handy zur Suche oder für Hintergrund-Informationen benutzen kann. Ich finde es auch völlig in Ordnung, mit der Heimat in Kontakt zu bleiben, ob das die Kinder, die Eltern oder Freunde sind. Aber auch hier kann ich nur zum Maßhalten raten. Es reicht, einmal am Tag Bilder zu schicken. Man muss nicht an jedem Moment live mit der Welt in Kontakt treten.
epd: Wenn ich andere live daran teilhaben lasse, verändert sich dann meine eigene Wahrnehmung, etwa wenn ich die Akropolis in Athen besichtige?
Korte: Ja, sie verändert sich. Es verändern sich sogar die Erinnerungen, weil man sich dann immer nur an das erinnert, was man auch gepostet hat - möglicherweise mit einem selbst darüber gelegtem Filter à la Instagram, mit einer aufgehübscht veränderten Umwelt. Wenn ich den Urlaub unmittelbar an mich herankommen lassen und unmittelbar erleben will, muss ich mir klarmachen, dass ich ihn nicht durch einen Bildschirm hindurch erleben sollte.
epd: Was raten Sie denn?
Korte: Sich vorher genau zu überlegen, wann und wie benötige ich mein Handy? Was mache ich damit? Insbesondere junge Erwachsene und Jugendliche haben sich angewöhnt, viele TikTok-Videos oder Ähnliches anzuschauen. Es ist aber nicht unbedingt gut, jeden freien Moment mit immer neuen Videos oder Instagram-Posts von anderen zu füllen. Ich kann nur empfehlen, die Zeit zu nutzen, um die Gedanken mal schweifen zu lassen. Vielleicht auch mal so etwas Schreckliches wie Langeweile auszuhalten. Denn häufig kommt man dann auf die besten Ideen, rafft sich auch auf, einmal etwas Anderes auszuprobieren.
Wenn ich schon mein Handy mitnehme, sollte ich alle Klingeltöne und den Vibrationsalarm ausstellen. In der Familie gilt es, entsprechende Absprachen zu treffen. Kinder werden schon Zeiten für Spiele einfordern, und das ist auch in Ordnung. Aber sie müssen nicht bei einer Safari auf die Handys starren, anstatt nach den Löwen Ausschau zu halten. Wichtig ist es, das vorher miteinander zu besprechen, damit das kein ständiger Streitherd ist.
epd: Hat denn Langeweile sogar einen gesundheitsfördernden Aspekt?
Korte: Sie macht uns zumindest kreativer. Weil wir in Zeiten der Langeweile Dinge neu vernetzen, auf neue Ideen kommen und andere Gedanken, die wir immer wegdrängen, auch mal verhandelt werden. Insofern hat sie eine entspannende Wirkung. Das gilt, wenn die Langeweile nicht zum Beispiel aus zwei Stunden Warten in der Arztpraxis besteht. So eine Wartezeit wiederum kann in Stress ausarten. Aber wenn ich einmal eine Zeit lang aufs Meer schaue oder im Urlaub im Restaurant einmal fünf Minuten länger auf die Speise warte, kann Langeweile gesundheitsförderlich sein, weil sich dann der Stresslevel reduziert.