Kirchen

Weihnachten per Traktor oder Fahrradrikscha

Kirchen setzen an Heiligabend auf kreative Gottesdienst-Formate

Von Urs Mundt (epd)

Hannover, Lüneburg (epd). Weihnachtsgottesdienste im Stundentakt, auf der Straße, mit begehbarem Krippenspiel oder auf dem Trecker: Die Kirchengemeinden in Niedersachsen setzen an Heiligabend wegen der Corona-Pandemie erneut auf ungewohnte Formen. „Unsere Kirchen haben ein vielfältiges Angebot geschaffen, um möglichst viele Menschen an den Heiligabend-Gottesdiensten teilhaben zu lassen“, sagt Hannovers evangelischer Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. „Vor Ort, mit Einlasskontrolle, unter freiem Himmel oder digital.“ Allein in der Landeshauptstadt werden an Heiligabend rund 400 Gottesdienste angeboten.

Wie schon vor einem Jahr müssen die landesweit mehr als 2.500 evangelischen und katholischen Gemeinden ihre Weihnachtsgottesdienste pandemiesicher gestalten. Als bislang einziges Bundesland hat Niedersachsen zwar eine „Weihnachtsruhe“ mit verschärften Kontaktbeschränkungen vom 24. Dezember bis 2. Januar verordnet. Gottesdienste sind hiervon jedoch wegen der Religionsfreiheit ausgenommen. Nur die Landkreise Cloppenburg und Gifhorn haben die 3G-Regel für Gottesdienste angeordnet. So entscheiden die meisten Gemeinden selbst, unter welchen Bedingungen die Gottesdienste stattfinden: nach 2G, 2G-plus, 3G oder nur mit Abstandsgebot und Maskenpflicht.

Ein außergewöhnliches Format können Andachtsuchende etwa im Osten von Lüneburg erleben. Dort lädt die evangelische Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde an zwölf Orten zu Kurzgottesdiensten auf der Straße ein. Um dabei zu sein, müssen Anwohner nur Fenster und Türen öffnen. „Wir kommen mit der Fahrradrikscha, mit Trompeter und Lautsprecher. Wir lesen die Weihnachtsgeschichte, sprechen einen Segen und singen gemeinsam O du Fröhliche“, sagt Diakonin Antje Stoffregen.

Zwei Gemeinden in der Nähe von Oldenburg bringen den Open-Air-Gottesdienst sogar mit dem Trecker zu den Menschen. In Großenkneten tourt Pastor Sven Evers mit einem Krippenspiel-Ensemble auf dem Traktor-Anhänger durch die Region. Auch in Stuhr bei Bremen bietet Pastor Robert Vetter wieder eine „Treckerweihnacht“ an. Von der Veranda einer mobilen Waldhütte aus wird der Pastor kurze Gottesdienste an vier Orten feiern. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass so auch viele Menschen, die zufällig in der Nähe sind, an der Andacht teilnehmen. Mancher Anwohner hat im letzten Jahr vom Wohnzimmer aus mitgefeiert“, erzählt Vetter.

In Grasberg bei Worpswede sollen die Gottesdienstbesucher das Krippenspiel nicht nur anschauen, sondern begehen. Geplant ist ein Gottesdienst im Freien rund um die Grasberger Kirche mit mehreren Stationen, an denen Szenen aus der biblischen Weihnachtsgeschichte nachgestellt werden. So können die Besucher etwa die Volkszählung, die Herbergssuche von Maria und Josef und die Begegnung mit dem Engel aus nächster Nähe erleben.

In ihren Handlungsempfehlungen schreiben die evangelischen Landeskirchen ihren Gemeinden nicht vor, wie sie der Infektionsgefahr begegnen sollen. Nur Abstandsregeln und Maskenpflicht sind verbindlich vorgegeben. Dennoch werde die überwiegende Mehrheit der Gottesdienste, besonders innerhalb von Kirchengebäuden, unter 2G- oder 3G-Bedingungen stattfinden, sagt der Sprecher der Konföderation der evangelischen Kirchen in Niedersachsen, Benjamin Simon-Hinkelmann. Neben vielen Freiluft-Gottesdiensten werde es auch ein breites Angebot von Online-Gottesdiensten geben. „Auch wer nicht getestet und nicht geimpft ist, kann an Heiligabend an Gottesdiensten teilnehmen“, betont Simon-Hinkelmann.

Aufgrund der Abstandsregeln können in den Kirchen mitunter nur ein Drittel der Sitzplätze genutzt werden. Um die Platzvergabe und die Besucherregistrierung bei Gottesdiensten in Kirchen zu erleichtern, bitten viele Gemeinden um eine vorherige Anmeldung. Um möglichst vielen Kirchgängern gerecht zu werden, bietet etwa die Matthäuskirche in Hannover an Heiligabend von 12 bis 24 Uhr Gottesdienste im Stundentakt an. Darunter sind auch Krabbel-Gottesdienste für die Kleinsten oder Christvespern mit Stehgreif-Krippenspiel.

Wer lieber zu Hause bleiben möchte, für den werden zahlreiche Gottesdienste live oder für den späteren Abruf im Internet übertragen. Die Landeskirchen von Hannover und Braunschweig sowie die reformierte Kirche haben außerdem eigene Weihnachtsseiten im Internet erstellt, auf denen sie Gottesdiensttermine und andere Weihnachtsangebote bündeln. Die Landeskirche Hannover stellt auch ein kostenloses Liederheft für zu Hause zur Verfügung. Gebete und Andachten für draußen und zuhause bietet auch die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche auf ihrer Seite www.kirchenjahr-evangelisch.de.

Bremer Kirchenrepräsentanten rufen zur Zuversicht auf

Bremen (epd). Die leitenden Repräsentanten der Bremischen Evangelischen Kirche haben zu Zuversicht in der Coronakrise aufgerufen. Erneut müssten die Menschen Weihnachten mitten in einer Corona-Welle feiern, schreiben die ehrenamtliche Präsidentin des Kirchenausschusses, Edda Bosse, und der theologische Repräsentant Bernd Kuschnerus in einer gemeinsamen Weihnachtsbotschaft an die Menschen in der Hansestadt. Dennoch dürften auch angesichts von mehr als 100.000 Corona-Toten in Deutschland und etwa fünf Millionen weltweit Leid und Mutlosigkeit nicht die Oberhand behalten.

„Der Friede wächst mit jedem Pfleger und jeder Ärztin, die trotz aller Erschöpfung bei der Stange bleiben, mit allen, die Kultur, Einzelhandel und Gastronomie unterstützen, mit jeder Wissenschaftlerin und jedem Ordnungsdienst, die gegen Impfverweigerung informieren und argumentieren“, schreiben Bosse und Kuschnerus in dem Beitrag, der auf der Webseite der bremischen Kirche veröffentlicht wurde. Frieden wachse mit der Verantwortung für ein gutes Miteinander und mit Solidarität: „Und nicht zuletzt wächst der Friede mit Ihnen, die Sie sich an alle Regeln halten, sich impfen lassen, Ihre Angehörigen unterstützen und im Freundes- und Bekanntenkreis dazu stehen.“

Die Bremische Evangelische Kirche schließe nicht die Türen und warte, bis der Spuk vorbei sei. Sie stehe den Menschen, die in dieser schwierigen Zeit kraftlos oder isoliert und einsam seien, an vielen Orten mit Seelsorge und Trost zur Seite, betonen Bosse und Kuschnerus. „Wir wünschen Ihnen, dass Sie dieses zweite Weihnachten in der Pandemie friedvoll erleben, ohne Krankheit und Schmerzen, Erschöpfung oder Zukunftsangst. Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien, den inneren Frieden Gottes, der höher ist als alles, was uns von außen bedrängt.“

Bischof Adomeit: Advent und Weihnachten sind Zeiten der Hoffnung

Oldenburg/Westerstede (epd). Der Oldenburger Bischof Thomas Adomeit hat angesichts der andauernden Belastungen in der Corona-Pandemie dazu aufgerufen, nicht die Hoffnung zu verlieren. Die Zeit vor Weihnachten sei eine Zeit der Erwartung, sagte Adomeit in einem am Donnerstag verbreiteten Weihnachtsgruß. „Ich glaube, dass wir gerade jetzt die Adventszeit und Weihnachten brauchen. Es gibt kein Leben ohne Hoffnung und Erwartung.“

Die Pandemie daure seit mehr als 20 Monaten an, sagte Adomeit in der Video-Botschaft, die in Kooperation mit dem Lokalsender oeins n der evangelischen Kirche St. Petri in Westerstede aufgezeichnet wurde. „Die Zahlen sind erschreckend. Wir hatten gehofft und geglaubt, dass wir das Schlimmste überwunden hätten.“ Jetzt spüre er bei vielen Menschen eine große Verunsicherung. Dennoch rief der Bischof dazu auf, sich auf den Advent einzulassen, in dem Christen die Ankunft von Jesus Christus erwarteten, dessen Geburt an Weihnachten gefeiert wird. „Der Lichtschein der Zukunft Gottes kommt in die Dunkelheiten unseres Lebens.“

Adomeit erinnerte an Rituale, die auf diese Zeit einstimmen. „Mit Weihnachten ergreift mich eine Stimmung, eine Spannung, die ich kaum in Worte fassen kann“, sagte er in der Video-Botschaft, die von Sonnabend (17. Dezember) an auf dem YouTube-Kanal der oldenburgischen Kirche abrufbar ist unter www.kirche-oldenburg.de/weihnachten.

Urlauberkapelle in Cuxhaven nach Umbau erneut eingeweiht

Cuxhaven (epd). Nach grundlegenden Umbauten ist die evangelische Urlauberkapelle im größten Nordseeheilbad Cuxhaven-Duhnen am Sonntag wieder eingeweiht worden. In den vergangenen Monaten sei die Kapelle für mehr als eine Million Euro zeitgemäß saniert und erweitert worden, sagte Urlauberpastorin Maike Selmayr dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gut die Hälfte der Kosten werde durch Spenden von Gästen aufgebracht. Ihr zufolge ist die frühere Scheune aus dem Jahr 1860 die einzige Kapelle bundesweit, die eigens für die Urlauberseelsorge ihre Tore öffnet.

Der Stader Regionalbischof Hans Christian Brandy würdigte in seiner Einweihungspredigt die Bedeutung der Urlauberseelsorge. Menschen in den Ferien hätten Zeit und Abstand zum Alltag. „Da wächst bei vielen eine große Sehnsucht nach Ruhe, nach Besinnung, nach Gesprächen und Klärungen - und auch nach Gott.“ Vielen Zeitgenossen sei der christliche Glaube fremd geworden. „So wird es für die Kirche der Zukunft nötig sein, auch neue Orte zu finden, an denen Menschen erreicht werden können.“ Deshalb sei die Kapelle so oft voll.

Auch wenn die Kapelle keine normale Ortskirche sei, habe sich über die Jahre eine Art „Stammgemeinde“ entwickelt, die die Kapelle in der Ortsmitte regelmäßig besuchen, sagte Selmayr. Die Zusammensetzung sei sehr gemischt: Neben evangelischen Christen säßen bei den Andachten und sonstigen Angeboten Katholiken und Konfessionslose aus dem ganzen Bundesgebiet - „gelegentlich auch Menschen anderer Religionen“.

Mit dem Umbau soll es nun einen offenen Meditationsraum geben. Selmayr selbst will dort zwei Mal wöchentlich eine christliche Meditation anbieten. Willkommen sei jedoch auch jede und jeder, der oder die in dem stillen Raum meditieren wolle. Außerdem gebe es nun ein Zimmer, in dem vertrauliche seelsorgerische Gespräche geführt werden können.

Unterstützt wird die Seelsorgerin von wechselnden Kurpastoren, Lektoren und Prädikanten. Dadurch sei es möglich, den Besuchern jährlich bis zu 800 Angebote zu machen. Dazu kämen noch viele Freiluftaktionen wie Strandgottesdienste und -taufen.

Thüringerin Kristin Jahn wird Generalsekretärin des Kirchentages

Hannover/Fulda (epd). Die Thüringerin Kristin Jahn wird neue Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Die 45 Jahre alte Superintendentin des Kirchenkreises Altenburger Land tritt zum Februar nächsten Jahres die Nachfolge von Julia Helmke an, wie der Kirchentag am Samstag nach einer digitalen Sondersitzung des Präsidiums mitteilte. Helmke hatte ihre Amtszeit nicht verlängert und war bereits zum 1. Oktober zur Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zurückgekehrt.

Die Theologin und promovierte Literaturwissenschaftlerin Jahn stammt aus der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), wo sie seit 2017 als Superintendentin den Kirchenkreis Altenburger Land leitet. Vorherige Stationen waren die Stadtkirchengemeinde Wittenberg sowie die Gemeinde Vachdorf/Meiningen in Thüringen. 2019 hatte Jahn beim Abschlussgottesdienst des Kirchentages auf der Seebühne im Dortmunder Westfalenpark gepredigt.

Als Generalsekretärin übernimmt Kristin Jahn die Führung im sechsköpfigen Vorstand des Kirchentages, dem sogenannten Kollegium, und Verantwortung für die Mitarbeitenden an den Standorten Fulda und in Nürnberg, der Gastgeberstadt des Kirchentages 2023. 2025 findet der Kirchentag in Hannover statt.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag wurde 1949 als christliche Laienbewegung gegründet. Er findet in der Regel alle zwei Jahre statt und bringt Zehntausende vor allem junger Christen zusammen.

Gesellschaft

Niedersachsenweit Proteste gegen Corona-Maßnahmen

Hannover/Osnabrück (epd). Corona-Leugner, Impfskeptiker und Kritiker der Infektionsschutz-Maßnahmen haben am Samstag in mehreren niedersächsischen Städten gegen die staatlichen Corona-Auflagen demonstriert. Die Proteste blieben weitgehend friedlich, wie die Polizei mitteilte. An einigen Orten gab es Gegenkundgebungen.

In Osnabrück demonstrierten unter dem Motto „Grundrechte sind nicht verhandelbar“ rund 1.900 Menschen gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern. An einer parallel verlaufenden Gegenkundgebung nahmen rund 200 Menschen teil, wie die Polizei Osnabrück mitteilte.

In Hannover rief die AfD unter dem Motto „Schluss mit dem 2G-Irrsinn - Freiheit für Land und Bürger“ zu einer Kundgebung am niedersächsischen Landtag auf, zu der sich rund 300 Menschen versammelten. Der Protest sei friedlich verlaufen, sagte ein Polizeisprecher. Allerdings habe die Polizei immer wieder mit Nachdruck auf das Einhalten des Infektionsschutzes wie Maske tragen und Abstand halten hinweisen müssen. Eine weitere Demo der Corona-Skeptiker fand auf dem Opernplatz statt. Die Parole hier: „Nein zu Warnstufe drei“.

In Braunschweig war die Stadt mit ihrem Versuch gescheitert, den Aufzug der Partei „Die Rechte“ zu untersagen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte am Freitagabend eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestätigt und den Aufzug unter der Parole „Kein frohes Fest für Volksverräter“ erlaubt. Am Ende folgten knapp 40 Menschen dem Aufruf der rechtsextremen Partei. An einer Gegendemo des Braunschweiger „Bündnis gegen rechts“ nahmen 350 Menschen teil.

Ab Dienstag: FFP2-Masken-Pflicht im gesamten Einzelhandel

Hannover (epd). Von Dienstag (21. Dezember) an gilt im gesamten niedersächsischen Einzelhandel eine FFP2-Masken-Pflicht. Die niedersächsischen Corona-Verordnung werde entsprechend geändert, teilte ein Ministeriumssprecher am Samstag mit.

Eine Unterscheidung zwischen Geschäften des täglichen Bedarfs und anderen Einzelhandelsgeschäften soll es den Informationen zufolge nicht geben. Lediglich Beschäftigte des Einzelhandels, die durch Abstand und Aerosolbarrieren geschützt sind, könnten statt einer FFP2-Maske auch weiterhin eine medizinische, sogenannte „OP-Maske“, tragen, heißt es.

Die Landesregierung reagiert auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom vergangenen Donnerstag, der die bis dahin geltende 2G-Regel im Einzelhandel außer Vollzug gesetzt hat. „Mit der Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske für den gesamten Einzelhandel setzen wir das um, was an Schutzmaßnahmen für diesen Bereich nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts noch rechtssicher machbar ist“, sagte Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD).

Verein: Große Mobilisierung von Corona-Leugnern in Südniedersachsen

Göttingen (epd). Das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen (ABAG) verzeichnet in Südniedersachsen und dem thüringischen Eichsfeld eine verstärkte Mobilisierung von Corona-Leugnern. In den vergangenen Wochen hätten verschwörungsideologische Aufmärsche und Aktionen in der Region stark zugenommen, teilte das Recherche-Netzwerk am Freitag mit. Die Aktivitäten gingen in der Regel mit antisemitischen beziehungsweise den Nationalsozialismus relativierenden Aussagen einher. Staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie Pandemie würden mit dem historischen Nationalsozialismus gleichgesetzt.

Bei einer Schmiererei auf dem Göttinger Zentralcampus sei beispielsweise das für die 2G-Regel stehende „2G“ mit einem Hakenkreuz gleichgesetzt worden. Auf einer Veranstaltung in Herzberg hätten Teilnehmer den SPD-Politiker Karl Lauterbach mit Adolf Hitler und ungeimpfte Personen mit den von den Nationalsozialisten verfolgten Juden gleichgesetzt.

In der Kleinstadt im Südharz kam es zuletzt oft zu Protesten von Kritikern der Corona-Maßnahmen, zuletzt versammelten sich dort am Donnerstagabend rund 100 Personen zu einer Kundgebung. Die Proteste in Herzberg werden maßgeblich von den früheren AfD-Politikern Dana Guth und Jens Krause organisiert, die inzwischen der Partei Liberal-Konservative Reformer (LKR) beigetreten sind. Krause ist deren niedersächsischer Landesvorsitzender.

„Es ist schlicht unerträglich, wie radikalisierte Impfgegner die Corona-Schutzimpfung mit der Vernichtungspraxis der NationalsozialistInnen gleichsetzen“, heißt es in der Mitteilung des ABAG. „Gleichzeitig sehen sich viele der selbst erklärten ‚Corona-Rebellen‘ in einem Endkampf gegen globalisierte Eliten und bedienen damit antisemitische Codes.“

Neben diesen verschwörungsideologischen und den Nationalsozialismus verharmlosenden Inhalten konstatiert das ABAG bei den Aufmärschen eine zunehmende Gewaltbereitschaft und Angriffe aus Journalisten: „Pressevertreter wurden bereits mehrmals mit dem Tod bedroht oder es wurde ihnen aggressiv in die Kamera gegriffen.“

Die aktuelle Mobilisierungswelle wird nach ABAG-Recherchen insbesondere durch die Telegram-Kanäle „Freie Niedersachsen“ und „Freies Thüringen“ befeuert. Diese Chatgruppen seien nach dem Vorbild der extrem rechten „Freien Sachsen“ gegründet worden. Sie wirkten als „ein Organisationskatalysator, unter dessen Dach verschiedene lokale Organisationen und Initiativen zusammentreffen und eine gemeinsame Mobilisierungsplattform finden“.

Das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen ist ein eingetragener Verein. Er dokumentiert seit mehreren Jahren rechtsextreme Aktivitäten in der Region. Und er vermittelt Referenten an Bildungsträger, Gewerkschaften, Parteien und Bürgerinitiativen. Das Archiv kann auch von Journalisten und Wissenschaftlern genutzt werden.

Lauterbach: Omikron-Welle wird alles Bisherige übertreffen

Bundesgesundheitsminister besucht Impfzentrum am Zoo in Hannover

Hannover (epd). Nach Gesprächen mit Amtskollegen aus Großbritannien hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eindringlich vor den Gefahren einer fünften Corona-Welle durch die besonders ansteckende Omikron-Variante gewarnt. „Wir müssen uns auf eine Herausforderung einstellen, wie wir sie bisher noch nicht gehabt haben“, sagte Lauterbach am Freitag bei einem Besuch in Hannover. Die britischen Kollegen hätten ihm berichtet, dass die dortige Lage alles übertreffe, was sie im Verlauf der Pandemie bisher beobachtet hätten. In Großbritannien breitet sich die Omikron-Variante des Virus in hohem Tempo aus.

In Deutschland gibt es derzeit noch weniger als tausend Omikron-Fälle, sagte Lauterbach. Eine Ausbreitung dieser Variante sei aber auch hier nicht mehr zu verhindern, sagte Lauterbach: „Ich gehe von einer massiven fünften Welle aus“. Auch ein milder Verlauf der durch sie ausgelösten Erkrankung werde an der Gefahr nichts verändern. „Er würde vielleicht die Zahl der Sterbefälle für zwei oder drei Wochen gering halten. Dann aber hätte das Wachstum der Fallzahlen diesen Vorteil schon aufgezehrt.“ Das bedeute eine hohe Herausforderung für die Krankenhäuser, die Intensivstationen und die ganze Gesellschaft.

Deshalb sei es geboten, die Omikron-Welle so weit wie möglich zurückzudrängen, betonte Lauterbach. So könne Zeit gewonnen werden, so viele Menschen wie möglich mit einer dritten Impfung auszustatten - vor allem die verletzlichen Gruppen. „Das einzige, was zuverlässig schützt vor einem schweren Verlauf bei der Omikron-Infektion, ist die Booster-Impfung.“ Dafür stehe momentan vor allem der Impfstoff von Moderna zur Verfügung.

Trotz eines anderslautenden Urteils des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg plädierte Lauterbach für eine 2G-Regelung im Einzelhandel, nach der nur Geimpfte und Genesene Zutritt zu den Geschäften haben. „Das ist sehr viel wirksamer als eine Maskenpflicht. Daher war die ursprüngliche 2G-Regelung überlegen und bleibt es.“ Das Gericht hatte am Donnerstag die von der Landesregierung angeordnete 2G-Regelung als unverhältnismäßig bewertet und deshalb gekippt. Lauterbach sagte dazu: „Es macht weder epidemiologisch noch gesundheitspolitisch Sinn, eine solche Regel jetzt zu kippen, insbesondere in Anbetracht der vor uns stehenden Omikron-Welle.“

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verwies darauf, dass das Oberverwaltungsgericht in Schleswig am selben Tag eine 2G-Regelung im Einzelhandel zugelassen habe. Mit dem Lüneburger Urteil sei Niedersachsen das einzige Bundesland, in dem 2G im Einzelhandel nicht gelte. Weil erinnerte daran, dass die Einzelhändler auch von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und 2G in Eigenregie anordnen könnten: „Es ist im wohlverstandenen Sinne des Handels, an dieser Stelle selbst mit dazu beizutragen, dass Kundinnen und Kunden das Gefühl der Sicherheit beim Einkauf haben können.“

Lauterbach hatte am Freitag das Impfzentrum der Region Hannover am Zoo besucht. Dort werden vor allem Kinder gegen Corona geimpft. Vor dem Zoo demonstrierten nach Angaben der Polizei rund 70 Menschen gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern. Der Protest sei überwiegend friedlich verlaufen, sagte eine Sprecherin. Nach einigen Pöbeleien sei die Veranstaltung allerdings beschränkt worden. In einem Fall habe die Polizei Zwangsmaßnahmen ergreifen müssen.

Der Bundesgesundheitsminister zeigte sich beeindruckt von der Impfaktion am Zoo. „Ich bin gerührt, wie vernünftig und liebenswürdig die Kinder ihren Beitrag leisten wollen zur Bewältigung der Pandemie“, sagte er. „Und dann ist es bestürzend zu sehen, dass draußen protestiert wird, zum Teil mit wirren Unterstellungen und verschwörungstheoretischen Vermutungen. Da drängt sich der Gedanke auf, dass die Kinder vielleicht vernünftiger sind als der eine oder andere Erwachsene.“ Der Minister lobte die vorsichtige Corona-Politik des Landes Niedersachsen als „vorbildlich“.

Corona-Proteste: "Spaziergänger" bedrängen und verhöhnen Polizisten

Bremen/Hildesheim (epd). Sogenannte „Spaziergänge“ von Gegnern der Corona-Maßnahmen haben am Samstag in Bremen und Hildesheim die Polizei beschäftigt. In Hildesheim seien Einsatzkräfte umringt und beschimpft worden, teilte die örtliche Polizei mit. Ein vor Ort anwesender Pressevertreter sei angerempelt und beleidigt worden. In Bremen kam es nach Polizeiangaben zu Auseinandersetzungen zwischen mutmaßlichen Querdenkern und Gegendemonstranten.

Den Angaben zufolge trafen sich bei der nicht angemeldeten Versammlung in Hildesheim rund 50 Menschen, die Kerzen aufstellten. Bei der Feststellung der Identität der mutmaßlichen Versammlungsleiterin, habe die Frau sich „äußerst unkooperativ“ verhalten. Auf die Aufforderung der Polizeikräfte, bei Unterschreitung der Mindestabstände Masken aufzusetzen, sei mit Gelächter reagiert worden.

Die Polizei habe die Versammlung aufgelöst und ein Ordnungswidrigkeitsverfahren sowie Strafverfahren wegen des Anfangsverdachts auf Körperverletzung und Beleidigung eingeleitet, sagte ein Sprecher. Die weiteren Ermittlungen übernehme das Staatsschutzkommissariat der Polizeiinspektion Hildesheim.

Auch in Alfeld (Landkreis Hildesheim) trafen sich den Angaben zufolge nach einem Aufruf in den sozialen Netzwerken rund 100 Menschen zu einem „Spaziergang“. Die unangemeldete Versammlung sei friedlich und störungsfrei verlaufen.

In Bremen musste die Polizei zwei Gruppen trennen. Auf der einen Seite hätten etwa 30 „mutmaßliche Querdenker“, gestanden, die angaben, sich nicht zu versammeln, sondern lediglich spazieren zugehen, hieß es. Den Impfkritikern gegenüber habe eine Gruppe von 40 bis 50 Menschen gestanden, die mit aggressiver Gegenwehr reagiert habe.

Das Phänomen der „Spaziergänge“ als Protestform gegen die Corona-Politik taucht immer häufiger auf. Unter anderem ruft die Gruppe „Freien Niedersachsen“ über soziale Netzwerke und den Messengerdienst „Telegram“ landesweit zu diesen unangemeldeten Kundgebungen auf. Die Gruppe steht laut Landeskriminalamt den staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ablehnend gegenüber. Teile von ihnen lehnten eine Impfung ab oder leugneten eine von der Pandemie ausgehende Gefahr, hieß es. Dabei würden einschlägige Narrative des rechten politischen Spektrums bedient.

Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz werden die „Freien Niedersachsen“ dem im Mai neu definierten Verdachtsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Deligitimierung des Staates“ zugeordnet. Es seien wiederholt Aussagen getätigt worden, die geeignet seien, dem Staat seine Legitimation abzusprechen und eine Radikalisierung zu fördern, teilte eine Sprecherin des Innenministeriums am Wochenende mit. Teile der Protestierenden verhielten sich gegenüber der Polizei unkooperativ. So würden Versammlungsauflagen missachtet und Demonstrationen häufig nicht angemeldet.

Rund 3.000 Verstöße bei Kontrollen in Bussen und Bahnen

Hannover (epd). Nach landesweiten Kontrollen der Corona-Regeln in Bussen und Bahnen in Niedersachsen hat die Polizei rund 2.000 Bußgeldverfahren eingeleitet. Insgesamt seien 3.000 Verstöße festgestellt worden, teilte das Innenministerium am Freitag in Hannover mit. In zwei Fällen kam es sogar zu Strafverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung im Zusammenhang mit Impfnachweisen. Insgesamt waren bei einem Kontrolltag am Donnerstag rund tausend Polizistinnen und Polizisten im Einsatz. Sie kontrollierten insgesamt rund 21.000 Personen - hauptsächlich in den Stoßzeiten.

Die meisten Fahrgäste hätten freundlich auf die Kontrollen reagiert und sich an die Regeln gehalten, berichtete Innenminister Boris Pistorius (SPD). Die Verstöße zeigten aber, dass weiterhin die Notwendigkeit bestehe, die Bevölkerung für die Regeln zu sensibilisieren. „Wer beispielsweise die Maske am Kinn oder unter der Nase trägt, verhält sich nicht nur regelwidrig, sondern auch unsolidarisch, und bringt sich und andere in Gefahr.“ Deswegen werde es auch in Zukunft Kontrollen in Bussen und Bahnen, in der Gastronomie und in Gewerbebetrieben geben.

Die meisten Verstöße betrafen den Angaben zufolge das falsche Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung. Viele Fahrgäste hätten auch nicht gewusst, dass sie jetzt eine FFP2-Maske tragen müssten statt einer einfachen OP-Maske. Schülerinnen und Schüler dagegen hätten sich besonders vorbildlich an die Maskenpflicht gehalten. Wo es falsche Beschilderungen gegeben habe, hätten es die Beamtinnen und Beamten bei einer Ermahnung belassen. Landesweit ist seit dieser Woche das Tragen einer FFP2-Maske im öffentlichen Personennahverkehr vorgeschrieben.

Drei Viertel der Niedersachsen mindestens einmal geimpft

Hannover (epd). Drei Viertel der Menschen in Niedersachsen sind inzwischen mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. Ende der Woche sei der Wert von 75 Prozent erreicht worden, teilte das Gesundheitsministerium am Freitag in Hannover mit. Die Zahl der zweimal Geimpften liegt bei 71,8 Prozent. 30,2 Prozent der Menschen haben den Angaben zufolge bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten. Bei den über 60-Jährigen haben sogar schon 50,5 Prozent die dritte Impfung bekommen.

Die Zahl der Erstgeimpften steige allerdings nur sehr langsam, erläuterte ein Sprecher: „Wir haben momentan ziemlich stabil täglich Werte zwischen 6.000 und 10.000 Menschen, die sich zum ersten Mal impfen lassen.“ Das seien 0,1 Prozent der Bevölkerung. Im Sommer seien es noch weniger gewesen, damals hätten sich 2.000 bis 3.000 Menschen am Tag für eine Erstimpfung entschieden.

Deutlich schneller gehe es bei den Booster-Impfungen. Hier erhalte täglich deutlich mehr als ein Prozent der Bevölkerung die Spritze. Im Vergleich zur Vorwoche gebe es einen Zuwachs von neun Prozentpunkten.

Stadt Osnabrück muss Zeitung Namen von Corona-Protestlern nennen

Osnabrück (epd). Die Stadt Osnabrück muss der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ noch vor Sonnabend die Namen und Wohnorte der Organisatoren der Corona-Protest-Demonstrationen in Osnabrück nennen. Dies hat das Verwaltungsgericht Osnabrück am Freitag per Eilantrag entschieden, wie das Gericht mitteilte. Mit Blick auf die für Sonnabend angekündigte Demonstration hatte ein Redakteur der Zeitung die Stadt gebeten, ihm die Namen und Anschriften der Initiatoren zu nennen. Die Stadt lehnte die Auskunft ab. Darauf beantragte die Zeitung eine einstweilige Anordnung. Die 1. Kammer des Gerichts gab der Zeitung weitgehend Recht.

In dem Streitfall habe das Gericht die Pressefreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeneinander abgewogen. Letztlich überwiege der Informationsanspruch des Mediums und damit das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber den Rechten der Initiatoren der Versammlung. Demonstrationen im öffentlichen Raum seien von vornherein auf Publizität ausgelegt. Daher habe die Öffentlichkeit ein legitimes Interesse daran, welche Personen dahinter stehen.

Die NOZ habe allerdings keinen Anspruch darauf, neben dem Wohnort auch die vollständige Anschrift der Veranstalter zu erfahren. Insoweit sei der Antrag abgelehnt worden. Der Beschluss ist nach Angaben des Gerichts noch nicht rechtskräftig und kann binnen zwei Wochen vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg angefochten werden.

Flüchtlingsrat und Stadt Oldenburg suchen Lösungen für Geduldete

Oldenburg, Hannover (epd). Als dritte Kommune in Niedersachsen beteiligt sich die Stadt Oldenburg an einem Modellprojekt mit dem niedersächsischen Flüchtlingsrat. Unter der Überschrift „Wege ins Bleiberecht“ sollen Lösungswege für Langzeitgeduldete gefunden werden, wie die Kooperationspartner am Freitag mitteilten. Die Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern eine in der Regel jeweils nur für einige Monate gültige Aussetzung der Abschiebung aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen. Zwar bestehen für Menschen mit Duldungen verschiedene gesetzliche Bleiberechtsregelungen, doch stehen dem in der Praxis oftmals zahlreiche Hürden entgegen.

Unterstützt wird das Projekt vom Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD): „Tausende geduldete Menschen leben seit vielen Jahren in Niedersachsen, in den vergangenen fünf Jahren bis zu 240 Personen in Oldenburg.“ Obwohl sie längst Teil der Gesellschaft seien, müssten sie dennoch in steter Ungewissheit und Sorge vor einer Abschiebung leben. „Das ist eine enorme seelische Belastung für alle, die von so einer Situation betroffen sind.“ Das Modellprojekt solle herausarbeiten, wie die Bleiberechtsregelungen konkret in Oldenburg umgesetzt werden und inwieweit sich die vor Ort gefundenen Lösungen gegebenenfalls auch auf andere Kommunen in Niedersachsen übertragen lassen.

Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. betonte, die notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Ausländerbehörden und den Nichtregierungsorganisationen. „Gemeinsam und modellhaft wollen wir zeigen, dass Kettenduldungen vermieden werden können, wenn sich alle Beteiligten frühzeitig um eine Aufenthaltsperspektive bemühen.“

In dem Modellprojekt sollen die in Oldenburg etablierten Wege ins Bleiberecht erörtert und anhand bestimmten Fällen beraten werden, hieß es. Die Erkenntnisse werden anschließend mit den Verfahren in den anderen Kommunen abgeglichen. Das Projekt wird vom niedersächsischen Sozialministerium gefördert und ist zunächst auf drei Jahre angelegt.

Seit Mai 2020 läuft den Angaben zufolge bereits eine Kooperation zwischen dem Flüchtlingsrat und der Landeshauptstadt Hannover. Zum Mai 2021 sei die Stadt Göttingen als zweite Kommune hinzugekommen. Gespräche mit weiteren Kommunen liefen bereits.

Mit den von der neuen Bundesregierung angekündigten Liberalisierungen der Bleiberechtsregelungen könnten absehbar mehr Menschen die Chance auf ein gesichertes Bleiberecht erhalten, hieß es weiter. Dabei werde dem Projekt „Wege ins Bleiberecht“ eine große Bedeutung zukommen.

Flüchtlingsrat fordert sofortige Aufnahme von gestrandeten Migranten

Hannover (epd). Niedersachsens Flüchtlingsrat und Pro Asyl verlangen eine sofortige Aufnahme der Schutzsuchenden, die in Belarus gestrandet sind. Eine eilige Entscheidung sei notwendig, um eine Katastrophe abzuwenden und Menschenleben zu retten, erklärten die Organisationen am Samstag: „Es braucht jetzt umgehend eine politische Lösung, noch vor Weihnachten.“

Belarussische und polnische Grenzschützer stünden sich bewaffnet an der Grenze gegenüber, hieß es weiter. „Die belarussischen Behörden treiben die Schutzsuchenden auf die polnische Seite der Grenze. Die Schutzsuchenden werden aber von den polnischen Grenzschützern wieder zurückgedrängt.“ Im Grenzgebiet müssten die Betroffenen bei frostigen Temperaturen im Wald ausharren. „Spiegel online“ dokumentierte am Samstag das Leben und den Tod von 17 Geflüchteten an der EU-Grenze zu Belarus.

Selbst wenn Gruppen von Geflüchteten es mehrere Kilometer weit über die Grenze ins polnische Staatsgebiet geschafft hätten, seien sie nicht in Sicherheit, erklärten der Flüchtlingsrat und Pro Asyl. Immer wieder berichteten Menschen, dass die polnischen Grenzbeamten sie wieder in das Grenzgebiet zurückbrächten und ihnen teilweise auch die Ersparnisse wegnähmen.

„An den Grenzen Europas wird europäisches Recht gebrochen“, sagte Aigün Hirsch vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Es sei nicht verständlich, warum Europa die Menschen im Wald verhungern und erfrieren lasse, anstatt sie aufzunehmen.

Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sagte: „Wir erwarten, dass Kanzler Olaf Scholz die Leisetreterei und die Politik der stillschweigenden Tolerierung der Aussetzung des Rechtsstaates an den EU-Grenzen beendet.“ Die Koalition habe sich dazu bekannt, Werte und Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen zu schützen und entschlossen für sie einzutreten - das müsse sie nun umgehend tun.

Weihnachtsgnade: Vorzeitige Haftentlassung für 57 Gefangene

Hannover (epd). 57 Strafgefangene aus Niedersachsen werden aufgrund des bevorstehenden Weihnachtsfestes vorzeitig aus der Haft entlassen. Ihnen blieben durch die sogenannte Weihnachtsgnade in Summe 1.056 Hafttage erspart, teilte Niedersachsens Justizministerium am Freitag mit. Die zuständigen Staatsanwaltschaften und Ministerin Barbara Havliza (CDU) konnten diese lediglich Gefangenen erweisen, bei denen die verbleibende Haftzeit unter einem Monat lag und deren Verhalten beanstandungsfrei war. Rund 4.500 Menschen verbringen die Feiertage in Niedersachsen allerdings hinter Gittern.

Von der Weihnachtsgnade profitieren laut Ministerium 16 Gefangene aus der Jugendanstalt Hameln sowie sieben Frauen aus der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta. Unter den männlichen Gefangenen werden je acht aus den Anstalten in Meppen und Sehnde entlassen sowie je sechs aus Bremervörde, Hannover und Lingen. Zwei Gefangene aus Wolfenbüttel sowie jeweils einer aus Oldenburg und Rosdorf haben ihr Recht genutzt, auf eine Entlassung zu verzichten.

Für die Gefangenen, die die Weihnachtszeit in Haft verbringen, sind laut Ministerium hunderte Landesbedienstete im Einsatz. An Heiligabend hielten alle Anstalten Gottesdienste ab, viele böten gemeinsames Kochen oder Backen an. Auf dem Speiseplan stünden an Heiligabend meistens Kartoffelsalat mit Würstchen, am Ersten und Zweiten Weihnachtstag oft Wild oder Ente.

Die Weihnachtsgnade gibt es in Niedersachsen seit 1999. Der Gnadenerweis soll vorzeitig entlassenen Menschen laut Ministerium die Resozialisierung erleichtern. Sie könnten an den Feiertagen mit ihrer Familie zusammenkommen und wichtige Behördengänge erledigen.

Älterer Herr erlebt vorgezogenes Weihnachtsglück

Helmstedt (epd). Ein 72-Jähriger aus Helmstedt hat in den vergangenen Tagen ein vorgezogenes Weihnachtsglück erlebt. Der Mann hatte in einem Supermarkt in der Innenstadt seine prall gefüllte Geldtasche vergessen, wie die Polizei Wolfsburg am Donnerstag mitteilte. Darin befand sich ein fünfstelliger Betrag, den er nach dem Einkauf zur Bank bringen wollte. Aus Sicherheitsgründen wollte er sie nicht im Auto lassen. Doch als er zwischen den Waren stöberte, legte er die Tasche für einen kurzen Moment ab und vergaß sie dann.

Nach einiger Zeit kehrte er panisch zum Ablageort zurück, konnte die Geldtasche aber nicht mehr finden. Er suchte überall und befragte die Verkäufer, doch ohne Erfolg. Geplagt von Gewissensbissen und Selbstvorwürfen gab er schließlich eine Anzeige bei der Polizei auf.

Zwei Tage später erhielt der Mann unverhofften Besuch von einem unbekannten Pärchen. Er staunte nicht schlecht, als einer von den beiden die Geldtasche unter der Jacke hervorzog. Das Paar hatte die Tasche im Supermarkt gefunden, wollte sie wegen der hohen Geldsumme allerdings nicht irgendwo abgeben. Anhand einer Visitenkarte konnten sie den rechtmäßigen Eigentümer ermitteln. Dieser bedankte sich laut Polizei überglücklich mit Tränen in den Augen für die Rückgabe. Das ehrliche Pärchen erhielt einen Finderlohn von zehn Prozent.

Stadt Braunschweig gestattet Rechten nur stationäre Kundgebung

Braunschweig (epd). Die Stadt Braunschweig hat einen für diesen Samstag (18. Dezember) geplanten Marsch der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ durch das Westliche Ringgebiet untersagt. Die Versammlung sei auf eine stationäre Kundgebung beschränkt worden, teilte die Stadtverwaltung am Donnerstag mit. Der angekündigte Aufmarsch hat das Motto „Kein frohes Fest für Volksverräter“.

„Wir wenden konsequent alle rechtlichen Mittel an, um Gefährdungen besonders im Westlichen Ringgebiet durch die angemeldete Demonstration zu verhindern“, sagte Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum (SPD). Eine Versammlung mit bis zu hundert Teilnehmenden als Aufzug mit Zwischenkundgebungen stelle in der aktuellen Phase des Corona-Infektionsgeschehens eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.

Nach Ansicht der Stadt würde es bei der Demonstration aller Wahrscheinlichkeit nach zu erheblichen Verstößen gegen die Corona-Hygieneregeln kommen, was mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden sei. Versammlungsteilnehmer, Gegendemonstranten, Polizeibeamte sowie unbeteiligte Passanten wären unmittelbar gefährdet. Nach Erkenntnissen der Verwaltung ist eine Vielzahl der Teilnehmer der Szene der Corona-Leugner und Impfgegner zuzurechnen und nicht oder nicht vollständig geimpft.

Das Braunschweiger „Bündnis gegen Rechts“ hat zu Protesten gegen die Veranstaltung der Rechtsextremisten aufgerufen. Nach Angaben von Bündnis-Sprecher Sebastian Wertmüller sind ab 13 Uhr zwei Gegendemonstrationen mit einer gemeinsamen Abschlusskundgebung um 16 Uhr auf dem Frankfurter Platz geplant. „Nach unzähligen Bedrohungen und Übergriffen durch Schläger der Nazi-Szene reicht es“, sagte Wertmüller. „Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger muss endlich als vordringlich angesehen werden.“ Junge Menschen und Jugendverbände seien bisher die bevorzugten Opfer der rechtsextremen Szene. Aber auch Beschäftigte der Läden im Westlichen Ringgebiet rund um den Frankfurter Platz und anderswo erlebten Übergriffe und benötigten Unterstützung.

Aktion Seebrücke fordert Aufnahme der Flüchtlinge aus Belarus

Osnabrück (epd). Aktivisten der Initiative „Seebrücke“ und des Flüchtlingshilfe-Vereins „Exil“ haben am Donnerstag in Osnabrück gegen die Missachtung der Menschenrechte an der belarussisch-polnischen Grenze protestiert. Mit grünen Lichtern ausgestattet forderten sie „grünes Licht“ für die Aufnahme der dort festsitzenden Flüchtlinge. Seit Wochen sei die Situation in dem Grenzgebiet katastrophal, sagte Johanna Sonntag von der „Seebrücke“.

Menschen, die versuchten, in die EU zu fliehen, würden systematisch aus Polen zurück in eine militärisch abgeriegelte Pufferzone gedrängt und dort festgehalten. Sie seien schutzlos der Kälte und Nässe sowie dem Hunger ausgeliefert, kritisierte die Aktivistin. Mindestens zehn Menschen seien bereits gestorben. Medien und Hilfsorganisationen werde der Zugang zu den Menschen verweigert.

Das polnische Parlament habe für die Legalisierung der sogenannten Push-Backs gestimmt. Die EU-Kommission wolle ganz offiziell die Asylregeln an der polnischen Grenze zeitweilig aufheben. „Damit verstoßen Polen und die EU offen gegen das Völkerrecht“, sagte Sonntag.

Die „Seebrücke“ fordert nach eigenen Angaben in diesen Tagen mit bundesweiten Aktionen von der neuen Bundesregierung, eine direkte Aufnahme der Menschen sofort zu ermöglichen. Sie müsse den Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren für geflüchtete Menschen sicherstellen. Auch in Polen gebe es Widerstand gegen die Abschottungspolitik und den entwürdigenden Umgang mit Geflüchteten. Dort stellten Menschen in der Grenzregion grüne Lichter in die Fenster, um zu zeigen, dass Flüchtlinge Hilfe erhalten könnten.

Soziales

Arbeitnehmerkammer verzeichnet steigende Einkommensarmut in Bremen

Bremen (epd). Die Einkommensarmut im Land Bremen ist 2020 deutlich gestiegen. Zugleich hat sich die Zahl derer, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, im vergangenen Jahr kaum verändert, wie aus dem am Donnerstag vorgestellten Bericht „KammerKompakt“ der dortigen Arbeitnehmerkammer hervorgeht. Bereits vor rund einer Woche hatte der Bremer Senat seinen dritten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Nun könnten die dort noch nicht enthaltenen, neuen Armutstrends im Jahr 2020 nachvollzogen werden, hieß es.

Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, Ingo Schierenbeck, bewertete es positiv, dass im vergangenen Jahr trotz der Corona-Pandemie nicht mehr Menschen auf Sozialleistungen angewiesen gewesen seien. Trotzdem habe die Pandemie oftmals zu deutlichen Einbußen geführt. „Für viele reicht das Einkommen nicht aus, um über die Armutsschwelle zu kommen.“

Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, gilt als einkommensarm. Dabei werden dabei auch Renten, Unterhaltszahlungen und staatliche Geldleistungen berücksichtigt. Im Land Bremen lag die Schwelle 2020 bei 1.125 Euro für Alleinlebende. Die Armutsgefährdungsquote stieg 2020 auf 28,4 Prozent (2019: 24,9 Prozent). Damit leben in Bremen dem Bericht zufolge 193.000 Menschen unter oder an der Armutsschwelle (2019: 169.800). Bei den Sozialleistungen hat sich die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher bei rund 120.000 Menschen eingependelt.

Dass im vergangenen Jahr vor allem die Einkommensarmut gestiegen ist, geht nach Auffassung der Kammer hauptsächlich auf die Pandemie zurück. „2020 war ein Ausnahmejahr am Arbeitsmarkt mit dem bisher höchsten Anteil von Beschäftigten in der Kurzarbeit und gestiegenen Arbeitslosenzahlen“, erläuterte Schierenbeck.

Deutschlandweit waren 2020 knapp neun Prozent der Erwerbstätigen von Einkommensarmut betroffen. Im Land Bremen waren es Ende 2020 rund 15 Prozent. Deutlich zugenommen hat dort auch die Einkommensarmut in der Gruppe der über 65-jährigen Rentnerinnen und Rentner. Von ihnen ist mittlerweile mehr als jeder Fünfte betroffen (knapp 23 Prozent).

Mitglieder der Arbeitnehmerkammer Bremen sind alle im Bundesland Bremen abhängig Beschäftigten mit Ausnahme der Beamten. Zurzeit sind dies mehr als 400.000 Beschäftigte sowie Minijobberinnen und Minijobber. Die Kammer vertritt als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Interessen ihrer Mitglieder.

Landeshaushalt: Schulgeld in der Behindertenhilfe bleibt

Hannover (epd). Auszubildende in der Behindertenhilfe werden an fast der Hälfte der Fachschulen für Heilerziehungspflege in Niedersachsen künftig weiterhin Schulgeld zahlen müssen. Trotz jahrelangen politischen Ringens sieht der am Donnerstag vom Landtag verabschiedete Doppelhaushalt 2022/2023 entsprechende Finanzhilfen für die Schulgeldfreiheit an privaten Schulen nicht vor, wie ein Sprecher des Kultusministeriums auf Anfrage des Evangelischen Pressendienstes (epd) bestätigte. Die Sprecherin des Bündnisses Heilerziehungspflege, Annegret Jäkel, kritisierte: „Zukünftig werden damit noch viel mehr Fachkräfte in der Behindertenhilfe fehlen. Diese Entscheidung ist sicherlich kein Beitrag zur Inklusion.“

Dem Bündnis Heilerziehungspflege gehören unter anderem der Paritätische Wohlfahrtsverband sowie Diakonie und Caritas in Niedersachsen an. Die 17 freien Schulen im Land bekämen derzeit rund 80 Prozent der Finanzhilfen, die das Land den 21 öffentlichen Schulen gewähre, sagte Jäkel. Nach der Haushaltsentscheidung des Landtags müssten sie weiterhin ein Schulgeld von rund 100 Euro im Monat selbst tragen. Dabei erhielten Auszubildende in der Heilerziehungspflege ohnehin keine Ausbildungsvergütung. Für die Schuldgeld-Freiheit hätte das Land den 17 Schulen in freier Trägerschaft für die kommenden zwei Jahre bis zu vier Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen müssen, erläuterte Jäkel. Politisch sei dies erstmals in den 1990er Jahren versprochen worden.

Auch im Koalitionsvertrag der Landesregierung von 2017 heißt es: „Ferner wollen wir sicherstellen, dass Schulgeldzahlungen einer Berufswahl nicht im Wege stehen.“ Nach Angaben des Kultusministeriums hat die Regierung Schulgeldfreiheit schon in mehreren sozialen Berufe erwirkt, etwa bei der Pflegeassistenz und in der Sozialpädagogik. Die vollständige Umsetzung der Schulgeldfreiheit sei weiterhin das Ziel der Landesregierung.

OVG: Kinder ab drei haben Anspruch auf tägliche Kita-Betreuung

Lüneburg, Göttingen (epd). Kinder haben nach Vollendung des dritten Lebensjahres bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung von montags bis freitags für jeweils sechs Stunden. Das entschied das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in einem Eilverfahren und korrigierte damit eine Entscheidung der Vorinstanz. Das Urteil wurde am Donnerstag in Lüneburg bekanntgemacht (Az.: 10 ME 170/21).

Der fünfjährige Antragsteller begehrt vom Landkreis Göttingen den Nachweis eines zumutbaren und bedarfsgerechten Kindergartenplatzes mit der erwähnten Betreuungszeit. Das Verwaltungsgericht Göttingen lehnte den Antrag im Oktober mit der Begründung ab, dass der gesetzliche Anspruch mit einem 2019 nachgewiesenen, aber in der Zwischenzeit vom Kindertagesstätten-Verband gekündigten Platz erfüllt worden sei. Die Eltern des Antragstellers müssten gegen die vom Verband ausgesprochene Kündigung des Betreuungsvertrags im zivilrechtlichen Kündigungsschutzverfahren vorgehen.

Das Oberverwaltungsgerichts verpflichtete den Landkreis nun, dem Antragsteller einen wohnortnahen Platz in einer Kindertageseinrichtung von montags bis freitags für jeweils sechs Stunden bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zur Verfügung zu stellen. Der 2019 nachgewiesene Kindergartenplatz stehe beim Verband nicht mehr zur Verfügung, weil er in der Zwischenzeit durch ein anderes Kind belegt worden sei. Ein zivilrechtliches Kündigungsschutzverfahren könne deshalb nicht den gewünschten Erfolg haben.

Außerdem sahen die Lüneburger Richter es als nachvollziehbar an, dass die Eltern des Antragstellers im Hinblick auf das Wohl des Kindes gegen den Willen des Verbandes keine weitere Betreuung erzwingen wollten. Der Landkreis könne sich auch nicht darauf berufen, dass er vor dem Frühjahr 2022 keinen alternativen Kindergartenplatz für den Antragsteller anbieten könne. Denn der gesetzliche Anspruch stehe unter keinem Kapazitätsvorbehalt.

Mit Blick auf den Umfang der Betreuung führte das Oberverwaltungsgericht weiter aus, dass zwar nach dem Bundesrecht kein Anspruch auf eine ganztägige Betreuung für Dreijährige bestehe. Aus dem Sozialgesetzbuch ergebe sich jedoch die Zielvorgabe, dass die Tageseinrichtungen den Eltern dabei helfen sollten, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander zu vereinbaren. Dieses Ziel könne mit einer lediglich vierstündigen Betreuung nicht erreicht werden. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar.

Niedersachsen bringt verändertes Pflegegesetz auf den Weg

Opposition und Arbeiterwohlfahrt fordern weitere Schritte

Hannover (epd). Der niedersächsische Landtag hat Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, um die Situation in der Pflege zu verbessern. „Diese Gesetzesnovelle ist ein wichtiger Meilenstein für eine gute Pflege in Niedersachsen“, sagte Sozialministerin Daniela Behrens am Donnerstag im Plenum. Das Gesetz hält unter anderem fest, dass in der Pflege tarifgerechte Löhne gezahlt werden sollten. Dies sei ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sagte Behrens. Die Novelle biete jedoch noch weitere positive Wendungen für die pflegerische Versorgung. Die Opposition und Verbände sehen die Novelle als ersten Schritt, fordern aber noch mehr Anstrengungen.

Nach dem Gesetz solle unter anderem im Büro der Landespatientenschutz-Beauftragen eine Beschwerdestelle für Pflege geschaffen werden, erläuterte die Ministerin. An diese könnten sich vor allem Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und professionell Pflegende mit Hilfeersuchen und Beschwerden wenden. So könnten Missstände früher aufgedeckt und Fehlentwicklungen korrigiert werden.

Zudem sollen der Landespflegebericht, örtliche Pflegeberichte und Pflegekonferenzen besser aufeinander abgestimmt und konsequent genutzt werden. So könnten regelmäßig verlässliche Daten zur pflegerischen Versorgungsstruktur erhoben werden, die die örtliche Pflegeplanung und Weiterentwicklung des Angebots voranbrächten. Das werde auch für Kommunen eine wichtige Planungshilfe für angepasste Angebote vor Ort sein.

Für die Grünen sagte die gesundheitspolitische Sprecherin Meta Janssen-Kucz, die Gesetzesnovelle sei „ein erster Schritt zur Verbesserung der Gesamtsituation in der Pflege“. Doch weitere müssten folgen. Das Herzstück sei die Tariftreue oder die tarifangeglichene Vergütung mit Wirkung zum 1. September 2022. „Ich hoffe, dass sich unsere Erwartungen durchsetzen und keine sozialen und auch privaten Anbieter auf der Strecke bleiben.“ Die Pflege müsse allerdings adäquat bezahlt werden, sonst könne sie nicht die Qualität liefern, „die wir für die zu pflegenden Menschen benötigen“.

In die Novelle aufgenommen worden sei auch die eingestreute Kurzzeitpflege, also Kurzzeitpflege in vollstationären Einrichtungen. „Das bisherige Angebot in Niedersachsen war und ist nicht ausreichend“, betonte Janssen-Kucz. Neben den mehr als 93.000 Menschen in Dauerpflege benötigten fast 3.500 Menschen Kurzzeitpflege. Insbesondere im ländlichen Raum fehlten aber die entsprechenden Plätze. „Wir hoffen, dass mit den eingestellten Haushaltsmitteln in Höhe von sieben Millionen zukünftig wieder verstärkt Kurzzeitpflegeplätze eingerichtet werden.“

Der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Niedersachsen, Marco Brunotte, argumentierte ähnlich. „An vielen Stellen wurden Schritte in die richtige Richtung gemacht. Allerdings wird schon jetzt sichtbar, dass noch Nachbesserungen erforderlich sind“, betonte er. So sei die Verpflichtung zur tarifgerechten Entlohnung der Pflegefach- und Pflegehilfskräfte grundsätzlich begrüßenswert. Allerdings müssten alle in Pflegeeinrichtungen Beschäftigten tarifgerecht entlohnt werden. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Verbesserungen zu Lasten der übrigen Berufsgruppen umgesetzt werden. „Hier muss dringend nachgeschärft werden.“

Corona-Ausbruch: Ermittlungen gegen Pflegekraft wegen Totschlags

Hildesheim (epd). Die Staatsanwaltschaft Hildesheim ermittelt nach einem Corona-Ausbruch mit drei Todesfällen in einem Altenheim in Hildesheim gegen eine Pflegekraft. Es bestehe der Anfangsverdacht der Körperverletzung und des Totschlags, teilte die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Christina Wotschke mit. Die Beschuldigte soll einen gefälschten Impfausweis verwendet haben und trotz einer Corona-Infektion weiter zur Arbeit gegangen sein.

Die Altenpflegerin habe den Vorwurf, einen gefälschten Impfausweis benutzt zu haben, eingeräumt, sagte Wotschke. Mit dem Corona-Ausbruch in dem Heim wolle die 44-Jährige aber nichts zu tun haben.

Ins Rollen gekommen seien die Ermittlungen, weil das Heim, das sich in privater Trägerschaft befindet, Ende vergangener Woche Anzeige gegen die Mitarbeiterin gestellt hatte. Die Geschäftsführung hatte Verdacht geschöpft, dass der Impfausweis der intern als Impfgegnerin bekannten Frau gefälscht sein könnte.

In jüngster Zeit haben sich in dem Pflegeheim, das über 124 Plätze verfügt, mehrere Bewohner und Pflegekräfte mit Corona infiziert. Dazu wie hoch die Fallzahl genau ist, konnte Wotschke keine Angaben machen.

Die Staatsanwaltschaft muss nun herausfinden, ob die Pflegekraft trotz bestätigter Infektion im Dienst war und dadurch womöglich andere Menschen angesteckt hat. Das Pflegeheim hat der Altenpflegerin bereits fristlos gekündigt.

Kostenlose medizinische Masken für Leistungsbezieher in Göttingen

Göttingen (epd). Die Stadt und der Landkreis Göttingen verteilen kostenlos medizinische Masken an Bezieher von Sozialleistungen. Packungen mit je 50 Masken würden gegen Vorlage der Sozialcard an erwachsene Leistungsbeziehende ausgegeben, sagte Kreissprecher Ulrich Lottmann am Freitag.

Gesichtsmasken gehörten in der Corona-Pandemie weiterhin zum Alltag. Für Teilbereiche der Innenstädte und Wochenmärkte im Kreisgebiet sei das Tragen einer medizinischen Maske per Allgemeinverfügung beispielsweise verpflichtend vorgeschrieben. Das bedeute aber auch zusätzliche Kosten, sagte Lottmann. Menschen, die über begrenzte Mittel verfügten, treffe dies in besonderem Maße.

Ausgabestellen sind im Landkreis die Standorte des Jobcenters, die Außenstellen des Fachbereichs Soziales in Hann. Münden, Osterode, Duderstadt und Bad Lauterberg sowie die Familienzentren in den Gemeinden des Kreisgebietes. In der Stadt Göttingen werden FFP2-Masken neben über die Göttinger Tafel, den Mittagstisch der katholischen Innenstadtgemeinde St. Michael, die Straßensozialarbeit, die Förderer der Wohnungslosenhilfe sowie im Neuen Rathaus und in den Verwaltungsstellen verteilt.

Muslimische Wohlfahrt: "Erfolg ist kein Glück"

Von Dirk Baas (epd)

Köln, Osnabrück (epd). Für Erika Theißen war es eine „verrückte Idee“, aus der die Selbsthilfeinitiative für muslimische Frauen entstand. „Wir Frauen brauchten einen Ort, an dem wir Platz für unsere Bedürfnisse haben“, schreibt sie in der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des 1996 ins Leben gerufenen Kölner Vereins „Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen“ - heute ein mittelständischer Sozialbetrieb mit über 100 Mitarbeitenden.

Der Verein ist anerkannter Vorreiter in der muslimischen Sozialarbeit. Zugleich räumt die zum Islam konvertierte promovierte Bildungswissenschaftlerin Theißen ein: „In der Wohlfahrtspflege stoßen muslimische Initiativen noch oft an eine gläserne Decke.“

Dabei ist der Bedarf an religions- und kultursensiblen Leistungen der Wohlfahrtspflege groß: In Deutschland leben rund 5,5 Millionen Muslime. Doch die klassischen Träger Caritas und Diakonie haben bislang kaum auf Muslime oder Aleviten zugeschnittene Angebote im Portfolio.

Laut Michael Kiefer, Professor mit dem Schwerpunkt muslimische Wohlfahrtspflege an der Universität Osnabrück, gibt es bislang keine professionell aufgestellte muslimische Wohlfahrtspflege. Angebote „in konfessioneller Bindung für Muslime sind eher eine Randerscheinung“, schreibt Kiefer in der Publikation „Migration und Soziale Arbeit“ des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt am Main. Deshalb seien Muslime faktisch gezwungen, „Angebote der etablierten Wohlfahrtspflege anzunehmen, die deren Traditionen nicht berücksichtigen“.

Die fast logische Folge: Hilfe zur Selbsthilfe. Hanim Ezder, Geschäftsführerin des Kölner Begegnungszentrums für Frauen, berichtet, man sei 1996 auf eine Marktlücke gestoßen. Der Rest des langen Weges zum etablierten Sozialträger basiert auf Wagemut, Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit - und Professionalisierung: „Erfolg ist kein Glück“, betont Ezder.

Das Begegnungszentrum wurde 1998 Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband Nordrhein-Westfalen - als erster muslimischer Migrantenverein. Später folgten öffentliche Anerkennungen, etwa als Träger der freien Jugendhilfe im Jahr 2000. Das ist die zwingende Voraussetzung, um sich durch staatliche Gelder zu finanzieren. So gelang es, in immer neue Arbeitsfelder vorzudringen.

Und doch bleiben strukturelle Hürden. Muslimische und alevitische Organisationen sind eher „Newcomer“ in einem durch die etablierten Träger gesättigten Markt. „Die größte Herausforderung besteht darin, die Vorbehalte gegenüber muslimischen Organisationen generell abzubauen“, sagt Adeel Shad, Geschäftsführer des 2018 von der Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat gegründeten ersten islamischen Wohlfahrtsverbandes An-Nusrat mit Sitz in Frankfurt am Main.

Dagegen geht seit 2017 ein vom Bund gefördertes Projekt an. Mit Erfolg, wie Anke Strube vom Institut ISS berichtet. Angestoßen hat es die dritte Islamkonferenz (DIK). Die Initiative will zur Entwicklung religions- und kultursensibler Wohlfahrtsangebote beitragen. Die DIK-Verbände und ihre Mitglieder sollen durch Beratung, Qualifizierung und Vernetzung befähigt werden, eigenständige Leistungen der Wohlfahrtspflege anzubieten. Das Projekt läuft Ende des Jahres aus.

„Unsere Ziele haben wir erreicht“, sagt Strube dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Professionalisierung in den Verbänden und Gemeinden komme voran. Die muslimischen Träger träten selbstbewusster auf, böten sich offensiv als kommunale Partner an. Dennoch bleibe noch viel zu tun: „Wir müssen dicke Bretter bohren.“ Denn es gebe bislang lediglich vereinzelte lokale Kooperationen, etwa mit der Caritas.

Doch an der Kooperation aller Verbände gehe künftig kein Weg vorbei, so Strube. Wenn alle Einwohner des Landes mit Hilfe und Beratung erreicht werden sollten, dann müssten die muslimischen und alevitischen Anbieter selbstverständlicher und gleichberechtigter Teil des Systems werden: Es stelle sich nicht mehr die Frage nach dem „Ob“, sondern nur nach dem „Wie“.

Kultur

Stiftung zeichnet vier interkulturelle Nachwuchsautoren aus

Hannover (epd). Die Stiftung Niedersachsen hat erstmals vier junge Autorinnen und Autoren mit Literaturstipendien aus dem neuen Förderprogramm „SchreibZeit“ belohnt. Für ihre interkulturelle Arbeit erhalten sie vier Monate lang jeweils 2.250 Euro pro Monat, wie die Stiftung am Donnerstag in Hannover mitteilte. Zudem werden ihnen Reisekosten und andere Kosten erstattet. Die Arbeitsstipendien gehen an Luna Ali, Raphaëlle Efoui-Deplanque, Jehona Kicaj und Krisha Kops. Das neue Programm soll junge, diverse Stimmen in der Literatur fördern.

Die Literaturstipendien sind auf Wunsch mit einer Residenz in der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel im Frühjahr oder Sommer 2022 verbunden. Zudem können sich die Geförderten einen Mentor oder eine Mentorin auswählen. „Wir möchten den Stipendiatinnen und Stipendiaten den Raum bieten, ihre literarischen Stimmen weiterzuentwickeln“, sagte Lavinia Francke, Generalsekretärin der Stiftung. "Eine diverse Gesellschaft braucht ihre Geschichten.”

Die vier Nachwuchsautoren wurden von einem Kuratorium vorgeschlagen und von einer Jury ausgewählt. Ali, Kicaj und Kops sind durch Studium oder Promotion in Hildesheim oder Hannover mit Niedersachsen verbunden. Efoui-Deplanque forscht in Berlin zu zeitgenössischer Literatur der afrikanischen Diaspora und schreibt Prosa auf Französisch, Englisch und Deutsch.

Das neue Förderprogramm „SchreibZeit“ unterstützt mit verschiedenen Schwerpunkten gezielt Stimmen, denen bislang kaum Fördermöglichkeiten offenstanden. Die Schwerpunkte in den nächsten Jahren sind Lyrik im digitalen Zeitalter, Graphic Novels und Szenisches Schreiben.

Stadt Hannover will Museum für Energiegeschichte übernehmen

Hannover (epd). Die Stadt Hannover hat ihr Interesse signalisiert, die Trägerschaft des Museum für Energiegeschichte zu übernehmen. Das Museum wurde bisher vom Energieversorger Avacon betrieben, wie die Stadt am Freitag mitteilte. Avacon hatte aber entschieden, den Betrieb einzustellen. Nun möchten die städtischen Museen für Kulturgeschichte die Sammlung dauerhaft als Sachspende des früheren Betreibers übernehmen. Allerdings müssen die Ratsgremien noch zustimmen.

Das Museum für illustriert wichtige technische Entwicklungen und zeigt Hannover als industrielles Zentrum des 19. und 20. Jahrhunderts. Anhand zahlreicher Objekte erzählt es Geschichten hannoverscher Firmen und Techniker. Dabei geht es etwa um die Entwicklung des Farbfernsehens, der Schallplatte, der Musikkassette und der CD. Das Spektrum der Exponate reicht vom schlichten „Schuko-Stecker“ über die Nachtspeicher-Heizung bis zur Juke-Box.

„Der ideelle Wert der Sammlung ist außerordentlich“, sagte der Direktor der Museen für Kulturgeschichte, Professor Thomas Schwark. „In ihr spiegeln sich die Wirtschafts- und Technikgeschichte unserer Region in ganz besonderer Weise.“ Thorsten von Neubeck von Avacon sagte, über Jahrzehnte sei viel Herzblut in die Sammlung des Museums geflossen. „Wir würden uns freuen, wenn dieser hohe ideelle Wert eine Zukunft bei den Museen für Kulturgeschichte findet.“

Osnabrücker Museen bleiben doch geöffnet

Osnabrück (epd). Das Osnabrücker Museumsquartier und die Kunsthalle können doch weiter öffnen. Erst vor wenigen Tagen hatte die Stadt Osnabrück eigentlich beschlossen, die Kultureinrichtungen vom 20. Dezember bis zum 15. Januar zu schließen, weil die Beschäftigten im Gesundheitsdienst aushelfen sollten. Allerdings sei inzwischen aus anderen Teilen der Stadtverwaltung sowie durch bereits frühzeitig neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausreichend Personal zur Verstärkung des Gesundheitsdienstes herangezogen worden, teilte die Stadt Osnabrück am Freitag mit.

„Darüber, dass die Schließung nun doch abgewendet werden konnte, freue ich mich außerordentlich“, sagte der Erste Stadtrat Wolfgang Beckermann (parteilos). „Gerade während der Feiertage gehört ein Museumsbesuch mit der Familie für viele zum Programm und ich bin erleichtert, dass die Museen den Menschen in dieser Zeit nun doch offenstehen.“

Gehrden ist "Außergewöhnliche Vorlesestadt" 2021

Gehrden, Mainz (epd). Die Stadt Gehrden in der Region Hannover ist zur „Außergewöhnlichen Vorlesestadt“ gekürt worden. Mit Mit QR-Codes an öffentlichen Orten in der Stadt, die zu selbst vorgelesenen Texten führen, mit Vorlese-Wanderungen und öffentlichen Lesungen in der Fußgängerzone hätten die Schüler des örtlichen Matthias-Claudius-Gymnasiums gemeinsam mit ihren Lehrern den Titel geholt, teilte die Stiftung Lesen am Donnerstag in Mainz mit. Neben Gehrden wurden Merseburg in Sachsen-Anhalt als „Aktive Vorlesestadt 2021“ und Wiesbaden als „Nachhaltige Vorlesestadt 2021“ ausgezeichnet.

Gehrden habe gezeigt, „dass Herausforderungen zu kreativen Ideen führen können und etwa Outdoor-Lesungen gerade in Pandemie-Zeiten möglich sind und begeistern“, hieß es weiter. Alle Aktionen in der Stadt standen unter dem Motto „Traum“ - so auch ein 24-stündiger Vorlesemarathon, bei dem die Schüler aus selbst geschriebenen Werken vorlasen. Begleitet wurde die Gehrdener Initiative durch eine selbst gestaltete Ausstellung, einen eigens produzierten Audio-Beitrag von Nachrichtensprecher Marc-Bator und literarischen Lesungen von verschiedenen Autoren.

Der Titel „Vorlesestadt“ wird von der Stiftung Lesen gemeinsam mit der Wochenzeitung „Die Zeit“, der Deutsche Bahn Stiftung und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund ausgelobt. Anlass ist der Bundesweite Vorlesetag, der in diesem Jahr am 19. November stattfand. Dieser Aktionstag wird seit 2004 jedes Jahr im November ausgerichtet. Die Auszeichnung als „Vorlesestadt“ ist nach Angaben der Stiftung Lesen nicht dotiert, die gekürten Städte bekommen aber eine Plakette.

Umwelt

"Fridays for Future" demonstriert für Braunschweiger Klimaneutralität

Braunschweig (epd). Mit rund 200 Teilnehmern hat die Initiative „Fridays for Future“ am Freitag in Braunschweig erneut für mehr Klimaschutz demonstriert. Die Kundgebung auf dem Schlossplatz stand unter dem Motto „Braunschweig 2030 - aber wirklich!“, wie die Ortsgruppe von „Fridays for Future“ mitteilte. Die Stadt Braunschweig will einem Ratsbeschluss zufolge bis 2030 klimaneutral werden.

„Um wie geplant 2030 klimaneutral werden zu können, reicht es nicht, nur über mögliche Maßnahmen zu reden“, sagte der Student und Klimaschützer Hendrik Thölking (25): „Die Maßnahmen müssen ganz konkret und ambitioniert umgesetzt werden. Klimagerechtigkeit passiert nicht von heute auf morgen, wir müssen dafür alle gemeinsam kämpfen.“

In Deutschland entstand die Klima-Bewegung „Fridays for Future“ vor drei Jahren. Erstmalig streikten Schüler am 7. Dezember 2018 in Bad Segeberg für mehr Klimaschutz. Eine Woche später wurde in mehreren Städten gleichzeitig protestiert. Mitte Februar 2019 gab es in der Bundesrepublik bereits mehr als 150 Ortgruppen von „Fridays for Future“.

Land Bremen will Ausstoß von Treibhausgasen deutlich senken

Bremen (epd). Die Enquete-Kommission des Landes Bremen zum Klimaschutz hat am Freitag ihren Abschlussbericht vorgelegt. Bis zum Jahr 2030 will das Land den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zum Jahr 1990 um 60 Prozent senken. Drei Jahre später sollen es 85 Prozent sein. Bis zum Jahr 2038 sollen dann 95 Prozent erreicht werden. Bremen ist das erste Land, das einen solchen Bericht vorlegt. Das Parlament hatte die Kommission im Januar 2020 eingesetzt, wie die Senatskanzlei mitteilte. Dem Gremium gehören 18 Mitglieder an - jeweils neun Abgeordnete und externe Sachverständige.

Der klimapolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion und Vorsitzende der Kommission, Martin Michalik, sprach von einem historischen Meilenstein für die Bremer Klimapolitik und einem „gewaltigen Auftrag für den Senat“. Die definierten Ziele seien mit konkreten Maßnahmen unterlegt, die auch umsetzbar seien.

Der größte Hebel bei der Erreichung der gesetzten Klimaziele liegt Michalik zufolge beim Bremer Stahlwerk. Die Voraussetzungen für die Dekarbonisierung dieses größten Bremer CO2-Emittenten müssten auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene zügig geschaffen werden. Erhebliche Potenziale bestünden in der energetischen Gebäudesanierung und in der Ausstattung öffentlicher Gebäude mit Fotovoltaik-Anlagen. Außerdem sollte das Land seine Fahrzeugflotten auf Elektromobilität umstellen und den Aufbau der öffentlichen Lade-Infrastruktur vorantreiben.

Der Abgeordnete Carsten Sieling begrüßte für die SPD-Bürgerschaftsfraktion das Ergebnis und sicherte die Unterstützung seiner Partei zu. „Wenn der Umbau gelingt, können Bremen und Bremerhaven schon 2038 klimaneutral sein.“ Bei der Verkehrswende hätten die sozialdemokratischen Mitglieder der Kommission ein von der Mehrheit abweichendes Votum abgegeben. Es müsse Abschied genommen werden von der Vorstellung, dass eine autofreie Innenstadt allein der Schlüssel für die Verkehrswende sei. Wenn wirklich CO2-Emmissionen vermieden werden sollen, sei es von weitaus größerer Bedeutung, vor allem die Pendler- und Berufsverkehre in den Blick zu nehmen, denn sie verursachten das Gros der Pkw-Emissionen.

Für die FDP-Fraktion lobte deren klimapolitische Sprecher, Magnus Buhlert, den Bericht. „Das Ziel ist hoch, erfordert zugleich extreme Anstrengungen. Umso wichtiger ist es, in die Umsetzung zu gehen und die nötigen demokratischen Entscheidungen zu treffen.“ Angesichts von Fachkräftemangel und knapper Zeit müssten die großen und für die Senkung der CO2-Emissionen entscheidenden Maßnahmen in den Fokus genommen werden.

Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen, Ingo Schierenbeck, begrüßte es, dass die Pläne seiner Kammer zur Beschäftigungssicherung in den Bericht der Kommission mit eingeflossen seien. Die Zahl der Fachkräfte in klimaschutzrelevanten Berufen müsse dringend gesteigert werden. Dabei geht es zum Beispiel um Bauberufe für die energetische Gebäudesanierung oder um den IT-Bereich zur Steuerung von Stromnetzen. „Gelingt das nicht, wird die Umsetzung der geplanten Klimaschutz-Maßnahmen im Land Bremen massiv gefährdet“, mahnte Schierenbeck.

Göttinger erforschen Strategien des Regenwaldes bei Dürre

Göttingen, Freiburg (epd). Bei extremer Dürre stimmen Bäume im Regenwald die Nutzung der Wasserreserven auf komplexe Weise miteinander ab. Das ist das Ergebnis eines Waldexperiments von 80 Wissenschaftlern der Universitäten Freiburg und Göttingen im Forschungszentrum „Biosphäre 2“ in Arizona, wie die Universität Göttingen am Freitag mitteilte. Hierfür wurde ein künstlicher Regenwald neuneinhalb Wochen lang extremer Dürre ausgesetzt. Der Versuch war den Angaben zufolge das bislang umfassendste Experiment zu der Frage, wie Wälder widerstandsfähiger gegen zunehmende Trockenheit im Klimawandel gemacht und Klimamodelle weiter präzisiert werden können.

„Eine der erstaunlichsten Reaktionen beobachteten wir zwischen den großen, trockenheitstoleranten und trockenheitsempfindlichen Bäumen“, erläuterte Christiane Werner von der Universität Freiburg. Demnach schonen Bäume mit hohem Wasserverbrauch die tieferen Wasserressourcen im Boden, um sie Bäumen mit weniger Wasserbedarf zu überlassen. Diese wiederum erhielten durch ihren ohnehin geringeren Wasserdurchfluss länger ihr schattenspendendes Blätterdach. Der so geschonte Unterwuchs wirke der Bodenaustrocknung entgegen, von dem die trockenheitsempfindlichen Bäume stark abhängen. Durch das komplexe Zusammenwirken bleibe das Wasser länger im gesamten System.

Die Universität Göttingen beteiligte sich mit der Analyse der Kohlenstoffvorräte im Boden. „Unser Göttinger Team erforschte die veränderten Interaktionen von Wurzel, Boden und Mikroorganismen unter Trockenstress“, erklärte Michaela Dippold aus dem Forschungsbereich Biogeochemie der Agrarökosysteme in Göttingen. Beobachtet wurde unter anderem, dass sich die Kohlenstoffspeicherung des Waldsystems bei Trockenheit um etwa 70 Prozent verringerte.