Mit Gesprächen und Yoga gegen seelische Wunden
TAFF-Projekt kümmert sich seit zehn Jahren um Geflüchtete mit Trauma
Von Rudolf Stumberger (epd)
Rosenheim (epd). An 15 TAFF-Standorten in Bayern bieten Therapeutinnen, Psychologen und Sozialpädagoginnen niederschwellige Hilfe für Geflüchtete an, die unter Traumata, Verlusten und existenzieller Unsicherheit leiden. Ein Angebot, das gerade jenseits der großen Ballungszentren dringend gebraucht werde, sagt Sozialpädagogin Marion Schlosser: „Bei der ländlichen Versorgung mit therapeutischen Angeboten für Geflüchtete klafft in vielen Bundesländern eine Lücke.“ Zwar stünden in vielen größeren Städten sogenannte Psychosoziale Zentren zur Verfügung, doch auf dem flachen Lande mangele es eher an Angeboten.
Auch in Bayern gibt es in München, Nürnberg und Neu-Ulm diese Hilfezentren, die aber ergänzt werden durch regionale Angebote, wie hier bei der Diakonie in Rosenheim seit dem Jahr 2017.
Zum Bestehensfest Anfang des Monats sagte Landesdiakoniechefin Sabine Weingärtner, seelische Gesundheit Geflüchteter sei kein Luxus sei, sondern eine zentrale Voraussetzung für Integration: „Wer Krieg, Gewalt oder Flucht erlebt hat, kann nur dann neu anfangen, wenn er innerlich zur Ruhe kommt. Dafür braucht es qualifizierte Fachkräfte, kultursensible Angebote - und eine gesicherte Finanzierung.“ TAFF sei von Anfang an mehr als ein einzelnes Projekt gewesen: „Wir wollten kein Strohfeuer, sondern ein Netzwerk schaffen.“ Das sei gelungen, TAFF zeigte wie nachhaltige Hilfe aussehe, nah am Menschen, in enger Kooperation mit Kommunen, Kliniken, Beratungsstellen und Kirchengemeinden.
TAFF ist in einem schlichten Industriegebäude untergebracht. Hier arbeitet auch Psychologin Johanna Mur. Auf einem Zettel hat sie sich die Zahl der Hilfesuchenden notiert: In diesem Jahr waren es bisher 140, vergangenes Jahr 130. Bayernweit betreut die Diakonie jedes Jahr an die 1.300 Flüchtlinge. Wie zum Beispiel Sarah.
Die Psychologin schildert ihren Fall: Sarah, eine Frau Ende 30, stammt aus Afghanistan und ist von dort mit ihrem Mann und drei Kindern geflüchtet. Vor vier Jahren kam sie in die Beratungsstelle, weil eine Sozialarbeiterin aus dem Flüchtlingsheim sie hierher vermittelt hatte. Der Grund: Sie kam nicht über eine Totgeburt hinweg. Mur erinnert sich: „Sie saß weinend vor mir, sie glaubte, ihre Aufgabe als Frau und Mutter nicht erfüllt zu haben.“ Sarah wurde immer depressiver, das Leben in der Flüchtlingsunterkunft war für sie schwer erträglich. Die Folge: Suizidversuche. Heute lebt Sarah mit ihrer Familie in einer eigenen Wohnung und wird psychiatrisch betreut, sie erhält Medikamente.
„Es geht bei der Beratung erstmal darum, Geflüchtete ihre Geschichte erzählen zu lassen“, sagt Johanna Mur. „ Dann gibt es Einzelgespräche als Hilfsangebot oder die Weiterleitung zu anderen Fachstellen. Und es gibt auch Gruppenangebote, wie etwa eine “Interkulturelle Yogagruppe„, um Stress und Anspannung abzubauen. Auch gibt es die “Psychologische Stabilisierungsgruppe„ für Geflüchtete aus der Ukraine. Dort suche man Antworten auf Fragen wie “Wie finde ich in einer neuen Umgebung Kraft und Halt in mir selbst?„ oder “Wie kann ich mit Verlust umgehen?". Für Geflüchtete mit Englischkenntnissen steht in Rosenheim zudem eine interkulturelle Eltern-Gruppe zur Verfügung. Und Jugendliche ab 16 Jahren können an einer Boulder-Gruppe teilnehmen und gemeinsam Klettersport machen.
Laut Marion Schlosser ist es die allgemein schwierige Situation von Geflüchteten, die nicht selten in psychische Belastungen münden und professionelle Hilfen erfordern. Es seien neben den Erfahrungen und Strapazen der Flucht selbst die Ungewissheit über die eigene Zukunft oder die Sorge um die Familienmitglieder in der Heimat, die sehr belastend seien. Bei vielen Geflüchteten steht nach ihren Worten die Bewältigung des Alltags im Vordergrund, mit all den Verständigungsproblemen und existenziellen Bedrohungen. „Wir sprechen natürlich auch über diese konkreten Probleme“, sagt Sozialpädagogin Marion Schlosser: „Aber bei TAFF steht die psychische Gesundheit im Vordergrund“.
Und wie hat sich das Projekt über die vergangenen zehn Jahre gemacht? Die Frage geht an Stefan Schmid. Der Psychologe hat bei der Diakonie die fachliche Leitung der 15 TAFF-Standorte inne. „Wir sehen zwei gegenläufige Entwicklungen“, lautet seine Antwort. Die eine ist positiv: Es gebe für die Beratungsstellen viel Unterstützung, Akzeptanz und auch Nachfrage von kommunaler Seite etwa. Finanziert wird das therapeutische Angebot für Flüchtlinge durch die Europäische Union (EU), das Bundesfamilienministerium und das bayerische Innenministerium.
„Gegenläufig aber ist das gesellschaftliche und politische Klima“, wie es sich in den vergangenen Jahren entwickelt habe. Schmidt meint damit etwa die Forderungen nach konsequenterer und vermehrter Abschiebung. „Abgeschoben werden auch jene, die gut integriert sind, die am Arbeitsplatz greifbar sind“, lautet seine Kritik. Sozialpädagogin Schlosser spürt dieses verschärfte gesellschaftliche Klima auch in der Beratungsstelle: „Die Leute haben mehr Angst.“ (3343/27.10.2025)