Debatte über Corona-Impfpflicht wird weiter kontrovers geführt
Holetschek für schnellen Beschluss, Landesbischof für mehr Nachsicht
München/Berlin (epd). Die Debatte über die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht wird weiter kontrovers geführt. Während sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Wochenende abermals dafür aussprachen, sehen die Deutsche Stiftung Patientenschutz und der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, ein solches Vorhaben kritisch. Auch der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, plädierte für mehr Barmherzigkeit in der Debatte.
Lauterbach sagte der „Welt am Sonntag“, er sei überzeugt, dass es eine große Gruppe von Ungeimpften gebe, die man durch eine Impfpflicht zu einer Immunisierung bewegen könne. „Meine Hoffnung ist, dass wir durch die Impfpflicht als Gesellschaft relativ gut geschützt sein werden.“ Gleichwohl würden dadurch niemals alle Menschen erreicht.
Der bayerische Gesundheitsminister Holetschek forderte eine schnellere Entscheidung über eine Impfpflicht. Eine Pandemie bekämpfe man „mit Pragmatismus, nicht mit Bürokratie“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag). Er zeigte sich offen dafür, über die Ausgestaltung einer Impfpflicht zu debattieren: Denkbar sei etwa eine zeitliche Befristung oder eine Pflicht nur für besonders gefährdete Altersgruppen.
Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Britta Haßelmann, bremste die Erwartungen an eine schnelle Einführung der allgemeinen Impfpflicht. „Das ist keine einfache Entscheidung, das bedeutet einen tiefen Eingriff“, sagte Haßelmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Da wird es nicht in zwei Wochen eine Beschlussvorlage geben.“ Sie selbst befürworte mittlerweile eine allgemeine Impfpflicht.
Der Bundestag hatte im vergangenen Jahr bereits eine Impfpflicht für das Personal von Einrichtungen beschlossen, in denen besonders durch Covid-19 gefährdete Menschen versorgt, behandelt oder betreut werden. Diese im Wesentlichen auf das Gesundheitswesen und die Pflege begrenzte Pflicht gilt ab Mitte März. Voraussichtlich Ende Januar soll es im Bundestag eine erste Orientierungsdebatte zu einer allgemeinen Impfpflicht geben.
Der Stiko-Vorsitzende Mertens warnte vor einer „noch stärkeren Polarisierung“, sollte eine allgemeine Impfpflicht eingeführt werden. „Viele Menschen würden mit großer Intensität versuchen, dieser Pflicht zu entgehen“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Patientenschützer äußerten sich ebenfalls skeptisch. Statt einer Pflicht sei ein breites und zügiges Impfangebot für alle Impfwilligen nötig, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der bayerische Landesbischof und ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Bedford-Strohm, mahnte mehr Nachsicht in der Debatte an. Menschen, die Angst vor einer Impfung haben, dürften nicht einfach als dumm abgestempelt werden, sagte er beim „Sonntags-Stammtisch“ des Bayerischen Rundfunks (BR).
Er habe zwar kein Verständnis für Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker auf der Straße, so Bedford-Strohm: „Aber natürlich dürfen Menschen, die Angst vor der Impfung haben und sagen 'Ich will das nicht', demonstrieren“. Selbstverständlich aber ohne Gewalt und innerhalb der geltenden Regeln.
Erneut bekräftigte der Landesbischof seine Haltung, dass er sich aktuell nicht für eine allgemeine Impfpflicht aussprechen könne. Noch sei ihm dafür zu viel ungeklärt, etwa wie sie durchgesetzt werden könne und ob man durch diese drastische Maßnahme wirklich erreichen könne, dass alle ihre Freiheit zurück bekommen und sich die Lage in den Krankenhause deutlich entspanne.
Auch sei unklar, welche Wirkung eine Impfpflicht auf die Menschen habe, die Angst vor der Impfung haben. Sie dürften nicht einfach mit einem „dumm“-Etikett beklebt werden, sagte Bedford-Strohm. Ihre Sorgen müssten ernst genommen werden. Die Gesellschaft müsse aufpassen, dass sie nicht in die Arme von Extremisten getrieben werden.
Daher halte Bedford-Strohm es für richtig, dass über die Einführung diskutiert werde. Es gelte aber noch abzuwägen, ob es dieses letzte drastische Mittel wirklich brauche. „Zum aktuellen Zeitpunkt würde ich dafür nicht die Hand dafür heben“, so Bedford-Strohm. Stattdessen sollte beispielsweise noch mehr in Brennpunkte gegangen und aufgeklärt werden.
Am Sonntag meldete das Robert Koch-Institut 36.552 Neuinfektionen, die Sieben-Tage-Inzidenz stieg bundesweit auf 362,7. (00/0089/09.01.2022)